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Pedro Almodóvar mit Tilda Swinton und Julianne Moore beim Filmfest Venedig: Gewinnt er mit „The Room Next Door“ nach dem Goldenen Löwen auch den Europäischen Filmpreis?

© dpa/Joel C Ryan

Verleihung der Europäischen Filmpreise: Sterbehilfedrama oder Trans-Musical?

Am Samstag werden in Luzern die 37. European Film Awards verliehen. Zu den Favoriten zählen Pedro Almodóvars „The Room Next Door“ und das wilde Mexiko-Musical „Emilia Peréz“.

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Die Oscars werden zwar erst Anfang März verliehen, aber der Startschuss zur Filmpreis-Saison fällt an diesem Wochenende. Bevor am Montag die Golden-Globe-Nominierungen bekanntgegeben werden (wird „Wicked“ dabei sein, „Gladiator 2“, „Konklave“?), stehen diesen Samstag zunächst die Europäischen Filmpreise auf dem Kalender.

So groß war Europa noch nie: Bei der Verleihung der 37. European Film Awards im schweizerischen Luzern konkurrieren in der Hauptkategorie „Bester Film“ Werke miteinander, die in Mexiko spielen, in New York, im Nahen und Mittleren Osten.

15 Filme treten in der Königsdisziplin an, die Branche stellt sich auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Pedro Almodóvars Sterbe- und Sterbehilfedrama „The Room Next Door“ und dem Musical „Emilia Pérez“ des Franzosen Jacques Audiard ein. Beide haben je vier Nominierungen.

Dass beide nicht in Europa spielen, hat kaum damit zu tun, dass der von multiplen Krisen gebeutelte Kontinent keine interessanten Sujets zu bieten hätte. Vielmehr liegt es an unterschiedlichsten Ursachen, dass die Nominierungen sich 2024 durch ein besonders großes geografisches Spektrum auszeichnen.

Almodóvar zum Beispiel hat seinen ersten englischsprachigen Film gedreht, mit Julianne Moore und Tilda Swinton in den Hauptrollen zweier alter Freundinnen. Die eine hat Krebs, will ihr Leben selbstbestimmt beenden und bittet die andere, ihr beizustehen.

Ein Film, der ein Tabuthema mutig angeht. Und großes Schauspielerinnen-Kino mit einem ebenbürtigen Paar – wobei Moores Natürlichkeit und stille Aura bei ihrem Part als Sterbehilfe-Begleiterin besonders frappiert. Warum die Academy nicht beide gemeinsam, sondern nur Tilda Swinton als beste Darstellerin vorausgewählt hat, bleibt ein Rätsel.

Zu ihren Konkurrentinnen zählen die Dänin Trine Dyrholm und die spanische Transfrau Karla Sofía Gascón. Sie ist „Emilia Pérez“, ein brutaler mexikanischer Drogenboss, der eine Geschlechtsangleichung vornimmt.

Korruption in Politik und Justiz, Gewalt, verschwundene Kartellopfer: Jacques Audiard gehört zu den Regisseuren, die sich nicht wiederholen, diesmal hat er sich die Drogenkartelle in Mexiko vorgenommen. Der Stoff ist nicht leichtgewichtiger als der von „The Room Next Door“.

Aber das unterhaltsame Musicalformat und der schauspielerische Elan von Gascón und Selena Gomez sowie Zoe Saldana in weiteren Hauptrollen dürften mehr verfangen. Wer wird gewinnen, Altmeister Almodóvar oder der kurzweilig-wilde Audiard?

Wie üblich bei den „europäischen Oscars“ finden sich unter den Nominierungen die europäischen Festivalgewinner des Jahres: Almodóvar erhielt in Venedig den Goldenen Löwen, das Darstellerinnen-Trio von „Emilia Pérez“ wurde in Cannes geehrt, und Gascón hat gute Chancen, nun auch den ersten Europreis für eine Transfrau zu gewinnen.

Karla Sofía Gascón (l.) ist für „Emilia Pérez“ als beste Darstellerin nominiert, hier mit Zoe Saldana als Anwältin Rita.

© dpa/Wild Bunch Germany

Zu den 15 um den Hauptpreis konkurrierenden Titeln zählen außerdem Mati Diops Dokumentarfilm und Goldbären-Gewinner „Dahomey“ (der je zur Hälfte in Paris und Benin spielt), Mohammad Rasoulofs Familiendrama „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ über die Frauenproteste im Iran (Jury-Sonderpreis in Cannes), die Palästina-Doku „No Other Land“ (Dokumentarfilmpreis Berlinale) und Coralie Fargeats feministischer Body-Horrorfilm „The Substance“ mit Demi Moore (Bestes Drehbuch in Cannes).

Und die Deutschen? Sind mit Wim Wenders dabei: Der Mitgründer und langjährige Präsident der Academy wird in Luzern für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Außerdem handelt es sich bei Rasoulofs „Feigenbaum“ um eine deutsche (Ko-)Produktion, und mit Lars Eidinger und Franz Rogowski sind gleich zwei hiesige Schauspieler bei den Darsteller-Nominierungen vertreten.

Ex-Bond-Star Daniel Craig wird ihnen mit seiner Parforcetour in „Queer“ allerdings vermutlich den Rang ablaufen – zumal auch die Filme von Eidinger und Rogowski nicht nominiert sind, weder Matthias Glasners „Sterben“ noch Andrea Arnolds britisches Coming-of-Age-Drama „Bird“.

Wim Wenders wird für sein Lebenswerk geehrt: Hier posiert er beim Filmfestival Tokio 2023 anlässlich der Vorführung seines jüngsten Films „Perfect Days“.

© AFP/STR

Dass erstmals gleich 15 Werke bei den besten Filmen zur Auswahl stehen, liegt an einer erneuten Satzungsänderung. Die Unterscheidung in „Bestes Drama“ und „Beste Komödie“ ist abgeschafft, stattdessen treten nun je fünf Spielfilme, fünf Dokumentar- und fünf Animationsfilme gegeneinander an.

Was für etwas Verwirrung sorgt. Auch wenn die Dokumentar- und die Animationsfilme zusätzlich in einer eigenen Preiskategorie antreten und anders als die Fictionfilme doppelt gewinnen können, sei das nicht unfair, heißt es auf Nachfrage seitens der Academy.

Denn die Preise für Regie, Drehbuch und Darsteller:innen können weiterhin nur unter den nominierten Spielfilmen vergeben werden. Hoffentlich blicken die rund 5000 wahlberechtigten Academy-Mitglieder durch – und haben sich die Mühe gemacht, alle 15 Kandidaten zu sichten.

Auch weitere nominierte Produktionen spielen übrigens nicht in Europa. Der schweizerische Animationsfilm „Sauvages“ ist in Borneo angesiedelt, „Sultana’s Dream“ in Indien, die Doku „Bye Bye Tiberias“ in einem palästinensischen Dorf, und der Essayfilm „Soundtrack to a Coup d’Etat“ dreht sich um Kolonialismus in Afrika und amerikanischen Jazz.

Politisch ist der europäische Film 2024 allemal: Auch „Dahomey“ über die Rückgabe der Benin-Bronzen an ihre afrikanische Heimat verhandelt ja den europäischen Machtmissbrauch zur Kolonialzeit.

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