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Flirrende Nächte. Der Regiepreis ging an "Soul of a Beast" vom Schweizer Regisseur Lorenz Merz.

© Lorenz Merz

Das war das Max Ophüls Festival in Saarbrücken: Vom Ende der Giraffen

Das Pandemiekino ist allegorisch-fantastisch. Das Nachwuchsfestival Max Ophüls Preis überzeugt mit einem starken Jahrgang.

„Hybrid“ meinte mal vor allem Autos mit Akku und Kraftstofftank. Derzeit ist es das höchste der Gefühle für Filmfestivals: eine Kombination aus Präsenz- und Online-Veranstaltung. Während das US-Festival Sundance kurzfristig ins Netz ausweichen musste, konnte der Max Ophüls Preis in diesem Jahr als Hybrid stattfinden: im kleineren Rahmen in Saarbrücken sowie bundesweit per Streaming.

Am Mittwoch wurden nun die Auszeichnungen vergeben. Der Hauptpreis wie auch der Fritz-Raff-Drehbuchpreis, sowie der Preis der Ökumenischen Jury, gingen an einen der leisesten, zugleich reifsten Beiträge. Das Debüt von C.B. Yi, einst Regiestudent bei Michael Haneke, hatte seine Premiere in Cannes gefeiert.

Der Chinese Fei jobbt als Sexarbeiter

„Moneyboys“ erzählt von Fei (Kai Ko), der in chinesischen Großstädten als Sexarbeiter jobbt und nach einer Vergeltungstat an seinem Geliebten fliehen muss. In seiner Familie stößt er wegen seiner Homosexualität auf Ablehnung. Aus Angst vor Restriktionen drehte der gebürtige Chinese Yi im liberaleren Taiwan, ruhige Tableaus und Plansequenzen setzen das Tempo.

Den künstlerischen Leiter des Festivals dürfte die Jury-Entscheidung freuen. „Man muss aufpassen, dass die zarten, experimentellen Filme nicht untergehen“, hatte Oliver Baumgarten zuvor gesagt. Jene, die eine andere Dramaturgie erproben, eher über Atmosphäre, Bilder und Sounds funktionieren.

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Das tun auf ihre Weise auch die beiden effektvollsten Spielfilme im Wettbewerb. Sie ähneln sich nicht nur in ihrer Vorliebe fürs Genre, es verenden mit pathetischem Gestus auch Wildtiere. Der Eröffnungsfilm „Everything Will Change“ von Marten Persiel („This Ain’t California“), belohnt mit dem Publikumspreis, entführt ins dystopische Jahr 2054, in dem ein junger Mann (Noah Saavedra) auf das Foto einer Giraffe stößt. Fasziniert von dem ihm unbekannten Wesen, forscht er nach und erfährt vom Artensterben der vergangenen Jahrzehnte.

Früh stellt der Film die Handlung weitgehend ein und gerät zum emphatischen Appell für den Erhalt von Biodiversität. Rührende Tieraufnahmen wechseln sich ab mit den Einschätzungen von Wissenschaftlern, die sich selbst spielen, aber aus der Zukunft zurückblicken – was zur suggestiven Wirkung des Films beiträgt.

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Auch „Soul of a Beast“, der zweite Langfilm des Schweizer Kameramanns Lorenz Merz, ist von allegorisch-fantastischen Momenten durchzogen – und endet mit dem Tod einer elektrisierten Giraffe. Es beginnt damit, dass drei Jugendliche in den Zoo einbrechen, um Tiere zu befreien.

Merz’ Ausbildung in Musik, Malerei und Fotografie ist seinem Werk anzumerken, das Ergebnis sind flirrend-fiebrige, oft unscharfe Bilder von extremer Nähe, atemlose Schnittfolgen, ein kongeniales Sounddesign. Mal somnambul, mal rauschhaft, mit Referenzen an David Lynch und Wong Kar-Wai. Dafür gibt es unter anderem den Preis für die beste Regie.

Und wie zeigt sich der Zustand des Filmnachwuchses? „Die Meinung über ihn ist oft schlechter als die Realität“, findet Oliver Baumgarten und blickt zufrieden auf den aktuellen Jahrgang. „Die jungen Filmemacher:innen arbeiten sich an den Themen der Gesellschaft ab: Diversität, Geschlechtergleichstellung, Umweltproblematik.“ Diese Experimentierfreude beglückt tatsächlich.

"Ladybitch" erhielt den Relevanzpreis

Zwei Mockumentarys bot der Spielfilmwettbewerb, „Ladybitch“ wurde mit dem Preis für den gesellschaftlich relevanten Film ausgezeichnet. Marina Prados und Paula Knüplings Debüt beruht auf ihrer Produktion fürs Berliner Ballhaus Ost, einem Stück über Missbrauch, Machtstrukturen, queere Utopien, Sichtbarkeit von Sexarbeiter:innen – und die Zukunft des Theaters.

Ela Özmen (Celine Meral) übernimmt die Hauptrolle in einer Adaption von Wedekinds „Lulu“, und aus einer treffsicheren, nie zu schrillen Parodie auf Habitus und Sprache der (Diskurs-)Theaterwelt entwickelt sich eine ironiefreie Abrechnung mit dem übergriffigen Regisseur.

Ein Thema: Machtmissbrauch

Machtmissbrauch spielt auch in anderen Beiträgen eine Rolle, in unterschiedlicher Tonalität. „Risse im Fundament“ setzt eine junge Architektin ihrem schmierigen Chef aus, bleibt dabei aber erwartbar. In Alison Kuhns Kurzfilmgroteske „Fluffy Tales“ ersetzt ein Model beim Werbeshooting den Hund („Denk wie ein Tier, lass das Model zu Hause!“), frisst auf allen Vieren aus dem Napf und uriniert am Ende aufs Mobiliar.

Ansonsten fallen in den Filmen dieses Jahr viele menschenleere Ferienanlagen auf – wie in „Ghost Island“ und „Bulldog“, in dem eine symbiotische Mutter-Sohn-Beziehung auf die Probe gestellt wird. Und reichlich Beziehungsstress. In Zora Rux’ Debüt „Ich Ich Ich“ macht Julian (Thomas Fränzel) seiner Freundin Marie (Elisa Plüss) einen überraschenden Heiratsantrag, woraufhin die sich Bedenkzeit auf dem Land erbittet. Dort nehmen Maries Zweifel und Ängste buchstäblich Gestalt an, geben Ratschläge, warnen, zweifeln – von Rux so originell wie trefflich inszeniert.

Dem Nachwuchsbereich fehlt Geld

Einmal sitzt etwa ihr Exfreund im Baum, unter dem sie gerade Rasen mäht, und erinnert an seine Vorzüge. Ihre Mutter zählt im Hintergrund Babynamen auf, und eine Gedankenpolizei führt das sexualisierte Bild von Julians Urlaubsflirt ab. In seiner präzisen Choreografie ähnelt „Ich Ich Ich“ den (ungleich lakonischeren) Tragikomödien Roy Anderssons, für den die Regisseurin als Casterin gearbeitet hat.

Durch die Pandemie kommt das diesjährige Ophüls-Programm verschlankt daher, die Zahl an Einreichungen ist gesunken. Zurzeit werde viel produziert, doch kaum im Nachwuchsbereich, sagt Baumgarten. Es mangele weniger an Ideen als am Geld. Ein klarer Fall für die Filmförderung.

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