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Kirill Serebrennikow in Moskau vor Gericht.

© Pavel Golovkin/dpa

Kirill Serebrennikow vor Gericht: Vom Sterben einer Hoffnung

Bei seinem Moskauer Prozess hält Regisseur Kirill Serebrennikow ein wortgewaltiges Plädoyer für die Freiheit der Kunst in Russland. Die Staatsanwaltschaft fordert sechs Jahre Lagerhaft.

Drei Jahre, über 90 Verhandlungstage, einander widersprechende Zeugenaussagen und Gutachten – jetzt steht der Prozess gegen den Regisseur Kirill Serebrennikow in Moskau vor der Urteilsverkündung. Zwischenzeitlich schien es, als seien die Angriffe auf den 50-jährigen Künstler gescheitert und er würde freigesprochen.

Doch die Staatsanwaltschaft erzwang eine neue Verhandlung. Sie besteht darauf, Serebrennikow habe mit seinem Projekt „Platforma“ einen Millionen-Betrag an Subventionen veruntreut und so den russischen Staat betrogen. Jetzt fordert die Anklage eine Geldstrafe und sechs Jahre Lagerhaft für den Regisseur, der zuletzt  am Deutschen Theater „Decamerone“ inszenierte – aus der Ferne.

"Die vielen talentierten, aufleuchtenden, rebellischen jungen Leute"

Serebrennikow nutzt seinen Auftritt am Montag, dem letzten Verhandlungstag, nicht nur zu einer erneuten Verteidigung seines Projektes, dessen 340 Veranstaltungen in drei Jahren Tausende Zuschauer angezogen hatte.

Seine Rede wird zu einem wortgewaltigen Plädoyer für die Freiheit der Kunst in Russland. „Platforma“, sagt Serebrennikow, das sei vor allem die Idee des freien künstlerischen Ausdrucks, der Vielfalt der Sichtweisen auf das Leben, das Eingeständnis der Komplexität der Welt.

„Hol’s der Teufel – dachte ich – es könnte doch sein, dass sich jetzt für die vielen talentierten, aufleuchtenden, rebellischen jungen Leute, die ich persönlich kenne und die keinen Platz finden im Rahmen der traditionellen, noch sowjetischen Institutionen – es könnte doch sein, dass sich für diese jungen Leute, die immer öfter in Europa arbeiten, dort Preise erhalten, Erfolg haben, Anerkennung finden – es könnte doch sein, dass sich am Ende dank staatlicher Finanzierung die Chance eröffnet, sich in der Heimat zu entfalten und nicht im erniedrigenden Ghetto des ,Experiments’ zu verharren. Das habe ich gedacht.“

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Serebrennikows Rede vor Gericht handelt vom Sterben dieser Hoffnung, dieser Illusion in Putins Russland. Ohne ihn beim Namen zu nennen macht der Regisseur den vormaligen Kulturminister Wladimir Medinski, einen Militärhistoriker, verantwortlich, der in seinen Reden die Devise ausgegeben habe, „Experimente“ möge die Kunst doch aus eigener Tasche bezahlen. Das russische Kulturministerium, sagt Serebrennikow, sei ein „total giftiges Kontor, das einen in einer beliebigen Situation nur verrät und bescheißt“.

Der Unterschied zwischen zeitgenössischer Kunst und staatlichen Aufträgen und Propaganda bestehe darin, dass erstere sehr scharf, kritisch und paradox auf die Gegenwart reagiere.

Auf diese Arbeit wiederum reagiere der russische Staat mit Verfolgung, Gericht und Haft. Letztlich, so Serebrennikow, sei das Projekt „Platforma“ und seine Dokumentation vor einem russischen Gericht zu einem Teil der neuesten Geschichte der russischen Kunst geworden.

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