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Flüchtlings-Dokumentation „Neuland“: Von Krieg, Elend und Hoffnung in der Schweiz
In der Dokumentation "Neuland" befasst sich die Schweizer Dokumentarfilmerin Anna Thommen mit dem Alltag von Flüchtlingen in der Alpenrepublik - und mit denen, die sich um sie kümmern.
Die Schweiz und ihre Migranten, es ist paradox. Das kleine reiche Land hat einen Ausländeranteil von fast 25 Prozent (in Deutschland sind es zehn Prozent). In den Volksabstimmungs-Debatten der Alpenrepublik machen sich nicht selten die Rechtspopulisten stark, vom Minarett-Verbot bis zur Ecopop-Initiative gegen „Dichte-Stress“; selbst die Zuwanderung aus EU-Ländern sollte beschränkt werden. Bei der Abstimmung im November 2014 aber votierte ein deutliche Mehrheit dagegen: Nein, die Schweiz schottet sich vorerst nicht ab.
So oder so befassen sich Schweizer Dokumentarfilmer mehr als ihre deutschen Kollegen mit dem Alltag von Flüchtlingen – und mit denen, deren Beruf es ist, sich um sie zu kümmern. Etwa Fernand Melgar, der Asylbewerber gleich mehrfach auf ihrer Behörden-Odyssee mit der Kamera begleitet hat, bis zum sogenannten Ausschaffungsgefängnis, in dem Abgewiesene auf ihre Abschiebung warten. Zuletzt porträtierte er in „L’abri“ (2014) Menschen in einer Notunterkunft in Lausanne. Der Bunker fasst nur 50 Menschen, weshalb sich allabendlich dramatische Szenen am Einlass abspielen, mit Familien aus Rumänien oder Afrika.
"Neuland": eine vielfach preisgekrönte Doku
Und jetzt „Neuland“. Zwei Jahre drückte die Filmemacherin Anna Thommen die Schulbank mit einer Integrationsklasse in Basel. Christian Zingg, der freundliche, in der Sache aber pragmatisch-nüchterne Lehrer, ist der heimliche Held ihrer vielfach preisgekrönten Dokumentation. Ein Sisyphos-Arbeiter: Seine jugendlichen Schüler kommen aus Kriegs- und Elendsgebieten, sie können kein Deutsch, sollen aber zum Ende der Schulzeit fit für eine Lehrstelle sein.
Was ist Ihr Traumberuf? Zingg ermuntert die Schüler zum Träumen und raubt ihnen zugleich jede Illusion, er ist der beste Lehrer der Welt. Unterrichtet schweizerisch langsam, aber hellwach und voller Herzensgüte. Nimmt den Locher als Telefonersatz, als sie Telefonanfragen für die Ausbildungsschnupperwoche üben. Geht mit ihnen wandern, schaut im Schlafanzug bei den Jungs vorbei und lässt sich Bilder von mörderischen Talibanangriffen in Kabul zeigen.
20 000 Dollar von Afghanistan bis in die Schweiz
Afghanistan, Pakistan, Schlauchboot, Italien – 20 000 Dollar hat der 16-jährige Ehsanullah bezahlt, um nach Basel zu kommen, 8000 Dollar muss er den Schleppern noch zurückzahlen, sonst nehmen sie den Eltern in Afghanistan ihr Land weg. Er muss jobben, kann nicht mehr zur Schule kommen. Sagt Christian Zingg: Als Mensch verstehe ich dich, als Lehrer lasse ich es nicht zu.
„Der Lebenslauf?“ Das ist, meldet sich Nazlije aus Albanien, wie das Leben so läuft. Zingg fragt weiter: Und wie läuft es so? Step by step, erwidert Nazlije. Zingg erinnert daran, wie der kleine FC Basel den früheren Champions-League-Gewinner Manchester United besiegte. „Sie sind der FC Basel! Glauben Sie an Ihre Chance, dann schaffen Sie etwas, was niemand für möglich hält.“ Man ahnt, wie viel Kraft ihn selber das Prinzip Hoffnung kostet.
Fremdeln in der fremden Sprache
Nazlije, ihr Bruder Ismail, Ehsanullah und sein Freund Hamidullah: Sie sind scheu, verlegen, fremdeln in der fremden Sprache. Die Kamera (Gabriela Betschart) begleitet sie auch außerhalb des Schutzraums Schule, kommt ihnen nahe, ohne indiskret zu werden. „Neuland“ verzichtet auf Off-Kommentare, auch das ein Vertrauensbeweis in seine Protagonisten. Bedanken Sie sich, wenn Sie das Berufsdiplom in Händen halten, meint der Lehrer zum Abschied: „Ich kann warten, ich bin ein geduldiger Mensch.“ Nach zig Bewerbungsschreiben und Telefonaten eine Lehrstelle als Altenpflegerin, Klempner oder Koch antreten zu dürfen, für Nazlije und die anderen ist es schon jetzt das Glück der Erde.
Acud, b-ware! ladenkino, Cinemaxx, Downstairs-Kino im Filmcafé, Eva, fsk