zum Hauptinhalt
Einhorn mit perfektem Haupthaar. Lucy (Dakota Johnson) könnte bei Harry (Pedro Pascal) schwach werden.

© Sony/Atsushi Nishijima

„Was ist Liebe wert – Materialists“ im Kino: Unangenehme Wahrheiten für Romantik-Optimisten

In der Romantic Comedy geht es meist darum, den Menschen fürs Leben zu finden. „Was ist Liebe wert – Materialists“ wirft einen nüchternen Blick auf das moderne Drama der Partnersuche.

Stand:

Der Plattformkapitalismus hat die Romantik für einen Großteil der paarungswilligen Mitmenschen endgültig ruiniert. Die ständige Verfügbarkeit von potenziell besseren Optionen, die „Gamification“ der Partnersuche in den Apps (das „Sammeln“ von Matches, wie Bonusleben im Videospiel) hat die Ansprüche an den perfekten Lebenspartner, oder sei es nur an das nächste Date, ins Absurde gesteigert.

„Der Grund, warum die Frauen, für die ich arbeite, ihre Erwartungen nicht senken“, erklärt die Partnervermittlerin Lucy dem Bachelor Harry – charmant, gutes Haar, über 1,80 groß, gebildet mit Manieren, macht sein Geld in der Finanzbranche –, „ist, dass Männer wie du tatsächlich existieren. Du bist ein Einhorn, eine Fantasie.“

Harry ist eine „Zehn“, in jeder Kategorie, wie Lucy betont. Und auch wenn „High Quality“-Männer wie Harry einen anderen „Markt“ sondieren, um ebenbürtige Partnerinnen kennenzulernen (eben mit der Hilfe von Frauen wie Lucy), ist das Problem in seiner Einkommensklasse nicht anders als bei den Menschen, die bei der Suche nach Dates nach links oder rechts swipen müssen.

Man könnte also annehmen, dass Harry – noch dazu gespielt von Pedro Pascal, der momentan alle männlichen Rollenbilder von Sexsymbol über den woken großen Bruder bis zur Vaterfigur zu bedienen scheint – das perfekte Männermaterial für eine Romantic Comedy ist. Nur dass die südkoreanisch-kanadische Regisseurin Celine Song schon mit ihrem Regiedebüt „Past Lives“ bewies, dass sie mit diesem klassischsten aller Hollywood-Genres so ihre Probleme hat.

Liebe und Mathematik: Lohnt die Transaktion?

„Liebe ist die letzte überlebende Ideologie“, erklärt in ihrem zweiten Spielfilm „Was ist Liebe wert – Materialists“ ein stolzer Brautvater vor der Hochzeitsgesellschaft mit einem ansehnlichen Pro-Kopf-Einkommen. Gesellschaftliche Kreise eben, in denen man mit dem Eheschluss auch noch ein paar andere unausgesprochene vertragliche Punkte aushandelt. Die etwas andere „Art of the Deal“: ein Austausch von Werten, moralisch-emotionale gegen materielle. Für erstere sind – natürlich – die Frauen zuständig, für letztere die Männer.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Song lässt keinen Zweifel daran, wie reaktionär das klingt. Für das emotionale Hoch einer romantischen Komödie will sie aber ebenso wenig zuständig sein. „Ich bin eine moderne Frau, ich hätte alles werden können. Und ich habe mich entschieden, eine Ehefrau zu sein“, heult eine Mascara-verschmierte Klientin von Lucy, buchstäblich ein paar Schritte vom Traualtar entfernt.

Doch wenn es um die Ehe geht, gibt es keine richtigen und falschen Gefühle, lautet Lucys Motto. Es gibt nur Mathematik: Lohnt sich die Transaktion? Sowas kann natürlich nur eine Frau behaupten, die wie Dakota Johnson aussieht. Lucy bewegt sich mit souveräner Lässigkeit durch einen anspruchsvollen „Heiratsmarkt“ (Frauen ab 40, Männer mit einem Jahreseinkommen von 300.000 Dollar aufwärts), auch wenn sie bloß einen Bruchteil dessen verdient. Ihre Lektion hat sie bereits gelernt.

Jahre zuvor hat sie sich auf offener Straße von ihrem Boyfriend John (Chris Evans) getrennt, weil ihre ständigen Streite ums liebe Geld sie nur an ihre Eltern erinnert haben. Ihre Verachtung für sich selbst, dass sie sich für ihre große Liebe wegen dessen chronischen Geldmangels zu schämen begann, hat zu einer ansehnlichen Karriere bei einer Partnervermittlungsagentur für Singles im sechsstelligen Einkommenssegment geführt. „Ich habe nur ein unverhandelbares Kriterium für den Mann, den ich heiraten werde“, erklärt Lucy noch vor ihrem ersten Date mit Harry. „Er muss obszön reich sein.“

Und darum ist Lucy, das Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen, zu einem Leben als „ewige Junggesellin“ verdammt. Denn glückliche Partnerschaften funktionieren laut ihrer mathematischen Formel nur auf ökonomischer Augenhöhe. Sie bekommt Gelegenheit, diese These zu überprüfen, als plötzlich John – nach Jahren der Funkstille immer noch ein gescheiterter Schauspieler – und das Einhorn Harry, der an einer „Werte-Transaktion“ mit Lucy Interesse zeigt, ihre Wege kreuzen. John lebt immer noch in seiner WG, Harry in einem 12-Millionen-Loft, von dem Lucy bei ihrer ersten Nacht kaum ihren Blick abwenden kann.

Am Ende behalten die Männer immer die Kontrolle

„Materialists“ hält ein paar unangenehme Wahrheiten für die Optimisten bereit, die noch an die romantische Liebe unter den Bedingungen des Spätkapitalismus glauben. Zum Beispiel, dass das Anspruchsdenken von Frauen in ihren 40ern nicht zuletzt auf der Erfahrung von jahrelanger Zurückweisung durch „Ageism“ basiert; das von Männern in den 40ern hingegen auf einem satten Festgeldkonto, selbst bei einsetzendem schütteren Haar. Unverzeihliche Dinge über ihre Wunschpartner sagen übrigens beide.

Schöne romantische Illusion. Lucy (Dakota Johnson) hat immer noch Gefühle für ihren von Geldsorgen geplagten Ex John (Chris Evans).

© Sony/Atsushi Nishijima

Trotzdem sind die Rollen ungleich verteilt, weil am Ende immer die Männer die Kontrolle behalten. Lucys Klientin Sophie (Zoe Winters) wird bei einem ihrer verzweifelten Dating-Versuche sexuell belästigt. Dass sexuelle Gewalt die Kehrseite von Lucys Branche ist, die mit der Hoffnung der Menschen, bloß nicht allein zu sterben – so nüchtern sieht „Materialists“ das Genre der Romantic Comedy in seinen besten Momenten –, viel Geld verdient, blendet Song nicht aus.

Um etwas geht es in „Materialists“ explizit nicht, obwohl der Gedanke bei dem ganzen Gerede über männliche und weibliche Rollenbilder, über die Vorzüge und Nachteile eines Lebens als Tradwife und unverhandelbare Einkommens- und Altersgrenzen doch so naheliegt: um Politik. Die Dealhaftigkeit von Liebesbeziehungen, noch dazu in New York, der amerikanischen Stadt der romantischen Gefühle und des turbobeschleunigten Finanzkapitals, ist schließlich nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage der politischen Einstellung. Haben wir in den vergangenen Jahren ja zur Genüge gelernt.

Am Ende von „Materialists“ wird die Liebe also doch nicht mit einem Handschlag besiegelt (nur beinah), sondern wieder nur ganz klassisch mit einem Kuss. Und das ist bei dem Aufwand, den Song betreibt, um ein zeitdiagnostisch sehr böses und sehr treffendes Urteil über unsere an niedere Bedürfnisse ausgerichtete Gefühlswelt zu treffen, etwas enttäuschend. Fast unaufrichtig.

Allerdings macht es doch einen Unterschied, selbst für die abgebrühteste Liebeshändlerin, ob jemand viel Geld hat und möglicherweise mit den Freunden von Donald Trump verkehrt, oder Pleite ist und Bernie Sanders gewählt hat. „Materialists“ gelingt das Kunststück, gleichzeitig konservativ und progressiv zu sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })