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Gründungsdirektor Reinhold Leinfelder – hier auf der Baustelle des Futuriums – ist Professor für Paläontologe und Geobiologe an der Freien Universität Berlin. Von 2006 bis 2010 war er Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums sowie zuvor Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns.

© Thilo Rückeis

Futurium feiert Richtfest: "Weg vom Dualismus von Mensch und Natur"

2017 eröffnet in Berlin das Futurium. Besucher sollen dort verschiedene Wege erleben, wie die Herausforderungen unseres Planeten bewältigt werden können. Ein Gespräch mit Futurium-Leiter Reinhold Leinfelder

Herr Professor Leinfelder, sind Sie ein Optimist oder ein Pessimist?
Wenn es um die Zukunft geht, muss man Optimist sein. Ich bin ein realistischer Optimist.

Wie würden Sie die Aufgabe des Futuriums beschrieben?
Das Futurium soll neugierig machen und Lust auf Zukunft wecken. Und darauf, sie zu gestalten. Dabei kommt es auf das Miteinander von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an.

Was ist Ihre bevorzugte Zukunftsvision?
Man muss die Zukunft offen halten. Ich bevorzuge eine Vision, bei der es möglich ist, nicht nur zu reagieren, sondern auch aktiv zu gestalten. Und die den Planeten weiter funktionieren lässt und die gesellschaftlichen Ziele berücksichtigt.

Prognosen sagen über die Gegenwart häufig mehr aus als über die Zukunft, weil die Ideen der Gegenwart in die Zukunft projiziert werden. Echte technische Revolutionen wie der Computer und das Internet dagegen sind oft nicht voraussehbar. Wie planbar ist die Zukunft?
Die Zukunft war früher auch besser, hat Karl Valentin einmal gesagt. Da steckt für mich viel Weisheit drin: Die Zukunft erscheint undeutlich und wolkig, der Blick geht nach hinten, zurück in die verklärte Vergangenheit. Für mich sind Neugier und Mut zur Zukunft mindestens genauso wichtig wie klassische Prognosen! Wir sollten nicht nur über die wahrscheinliche Zukunft, etwa im Sinne von „Was kommt da auf uns zu?“ nachdenken, sondern vor allem über mögliche „Zukünfte“, im Sinne von Wünschbarkeiten. Was könnten wir uns für die Zukunft wünschen? Wie können wir uns verschiedene Zukünfte vorstellen? Gibt es einen Weg dahin? Das würde uns Freimachen von Angst und Einengung und damit von einer Situation, in der wir nur reagieren können, statt zu agieren.

Beim Futurium sind Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in einem Boot – kann das gutgehen?
Die Politik spielt für die Zukunftsgestaltung eine wichtige Rolle, ebenso wie Initiativen „von unten“. Aber das genügt nicht. Ich glaube, man braucht dieses Miteinander von Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und vor allem auch der Zivilgesellschaft. Diese darf nicht nur Zuschauer sein, sondern muss aktiv dabei sein.

Es gibt aber gegensätzliche Interessen. Die großen Unternehmen denken weltumspannend, während viele Globalisierungsgegner eben diese Perspektive in Frage stellen.
Bei der Diskussion der Zukunftsmöglichkeiten sind alle beteiligt. Business as usual ist wohl nicht der richtige Weg. Aber man kann an eine Weiterentwicklung denken, die ich den „reaktiven Weg“ nenne. Da fährt man auf Sicht, aber bedenkt alle Nebenwirkungen konsequent mit. Beispiel Berlin: Nördlich des Hauptbahnhofs entsteht die Europacity. Dabei kommt es auch darauf an, die Verbindungswege für die Natur mitzudenken, ebenso wie die jetzt schon gerade bei Starkregen extrem angespannte Abwassersituation Berlins. Und dann gibt es den „Weniger-ist-mehr-Weg“, den Suffizienzweg. Da kommt dann nur saisonales Obst, Gemüse und Getreide aus der Region auf den Tisch, zugespitzt gesagt. Ein weiterer Pfad, der bioadaptive Weg, nimmt sich die Natur zum Vorbild. Da hat die Kreislaufwirtschaft Vorrang. Und schließlich gibt es einen Hightech-Weg in die Zukunft. Wir entlasten die Natur, indem wir Städte weiter verdichten: Wir wohnen nicht nur in modernsten, sich energetisch selbst versorgenden Hochhäusern, sondern bauen dort sogar Getreide an. Das sind natürlich bewusst zugespitzte Szenarien, die zum Denken und Diskutieren anregen sollen.

Sind Sie eher ein Vertreter des ökologischen statt des Hightech-Pfades?
Ich sehe diese Wege als gleichwertig an, solange wir uns an den planetarischen Grenzen orientieren. Wir haben den Globus schon weitgehend umgekrempelt und geplündert. Jetzt müssen wir vom Parasiten zum Symbionten der Erde werden, zu einem Miteinander mit der Natur kommen. Um das zu erreichen, würde ich keinen Weg ausschließen.

Wie praktikabel ist die ökologische Variante angesichts des weltweiten Bevölkerungswachstums und der steigenden Bedürfnisse, was Lebensstil, Ernährung und Medizin angeht?
Wir sollten nicht von einer „Variante“ sprechen. Die Ökonomie ist sicherlich Kern unserer Existenz, aber sie muss in einer sozialen Schale eingebettet sein, umgeben von einem funktionierenden globalen Erdsystem, um dauerhafte Nachhaltigkeit zu erreichen. Im Detail geht es vor allem darum, sich Zukunftsoptionen besser vorzustellen, die man ja noch nicht kennt – Insekten zu essen wäre ein Beispiel. Zwei Milliarden Menschen ernähren sich von ihnen. Je nach Art wird da nur ein Zehntel des sonst in der Tierzucht üblichen Kohlendioxid-Ausstoßes erzeugt, auch der Flächenbedarf ist um diesen Faktor geringer, sie sind gesund und leicht züchtbar. Über so etwas brauchen wir einen Dialog, aber vielleicht auch einen persönlichen Selbstversuch, um herauszufinden, ob dies auch eine Option in der westlichen Welt sein kann. Falls aus kulturellen Gründen nicht, dann vielleicht zumindest für eine nachhaltige Fischzucht, bei der bislang weitaus mehr Fisch verfüttert als produziert wird.

Sind die von Ihnen skizzierten Wege in die Zukunft nicht zu stark vereinfacht? Ist die Realität nicht eher grau als schwarz-weiß?
Gerade deshalb müssen wir eben verschiedene Möglichkeiten, also verschiedene „Zukünfte“ denken, diese aber nicht eintönig grau, sondern vielfältig bunt. Dies ist die Grundlage, um Mischungen aus den Optionen auszuwählen.

Wie realistisch sind Ihre im Futurium präsentierten Szenarien, wird es Möbel und Häuser aus Kompost und Pilzen geben?
Wir wollen in unserem „Reallabor“ vieles ausprobieren, etwa Aquaponik, bei der Fischzucht und Gemüseanbau in den eigenen vier Wänden kombiniert werden. In der Ausstellung oder auf dem Vorplatz wollen wir interessante Zukunftsprototypen zeigen. Und was Baustoffe angeht: Beton ist toll, aber der geeignete Sand wird knapp. Außerdem frisst die Herstellung viel Energie. Deshalb muss man sich neue Baustoffe anschauen. Vor dem Museum of Modern Art in New York wurde ein stabiler Turm aufgebaut, der aus Kompost und Pilzen bestand. Es ist wichtig, so etwas in Wirklichkeit zu sehen.

Sie fordern einen Gesellschaftsvertrag, der eine „Transformation“ ermöglichen soll. Das klingt ein wenig nach Weltbeglückung. Die Demokratie ist aber durch einen offenen Streit der Meinungen gekennzeichnet, nicht durch einen kollektiven Willen, wie ihn ein Gesellschaftsvertrag nahelegt.
Es geht darum, bei allen Unterschieden und notwendigen Diskursen ein gemeinsames Grundverständnis zu entwickeln. Sehen wir die Erde wie eine Stiftung, die verschiedene Aufgaben hat, deren Grundkapital aber unangetastet bleiben muss. Wenn man das als Grundidee hat, dann ist ganz viel Verschiedenes diskutierbar.

Sie kämpfen für den Begriff des Anthropozän. Er besagt, dass wir Menschen begonnen haben, eine ganze Erdepoche zu prägen. Nehmen wir uns da nicht zu wichtig?
Mir geht es um eine neue Sicht der Dinge. Wir müssen feststellen, dass es keinen großen Unterschied zwischen Natur und Kultur mehr gibt, weil wir 75 Prozent der festen Erde schon so umgewandelt haben, dass man nicht mehr von einer Urnatur sprechen kann. Wir müssen weg vom Dualismus von Mensch und Umwelt. Wir müssen die Natur um unseretwegen unterstützen, zugleich braucht sie auch uns, um vielfältig zu funktionieren. Das bedeutet, es gibt eine Fusion von beidem.

Sie hatten es als Chef des Berliner Naturkundemuseums mit seinen Saurierskeletten einfach, Leute anzulocken. Wie sieht das beim Futurium aus?
Das Futurium soll für alle da sein, von Kindern bis zu Staatsgästen. Wir versuchen, das mit einer neuen Themengestaltung zu erreichen. Zum einen geht es um die Offenheit der Zukünfte, zum anderen soll es Gestaltungsmöglichkeiten geben, wie man die vier Zukunftswelten inszeniert – und das durchaus mit einer gewissen Zuspitzung. Ich glaube, dass es viele Aha- und Oh-Erlebnisse geben wird, auch die Selbstreflektion wollen wir anregen. Sind die Schubläden in unseren Köpfen richtig sortiert, müssen wir die nicht mal aufmachen und Mut zu neuem Denken haben? Ich glaube, wenn uns das gelingt, dann gibt es nichts Faszinierenderes als die Zukunft.

FAKTEN ZUM FUTURIUM

Das Futurium ist eine gemeinnützige GmbH. Hauptgesellschafter ist der Bund, vertreten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung; Vorsitzende des Aufsichtsrats ist Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen. Zu den Gesellschaftern zählen die bedeutendsten deutschen Forschungseinrichtungen, Stiftungen und Unternehmen, die an der Zukunftsforschung arbeiten: die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austausch Dienst (DAAD), die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften Acatech, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz. Die forschende Wirtschaft ist vertreten durch BASF, Bayer, Boehringer Ingelheim Pharma, Siemens und Infineon. Die Deutsche Telekom-Stiftung ist ebenfalls Gesellschafter.

Dieses Interview ist zunächst in der Sonderbeilage "Futurium - Richtfest für die Zukunft" erschienen.

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