Perspektive Deutsches Kino: Wer bin ich?
Die Perspektive Deutsches Kino feiert 10. Geburtstag. Und für das ganz junge Publikum gibt’s in Generation K Plus und 14 Plus Geschichten von Dorfjungen, Girlies und verbotener Liebe.
Selbstbestimmung, Fremdbestimmung, danach fragen viele Beiträge der Perspektive Deutsches Kino, die ihren 10. Geburtstag feiert. Dieter Kosslick hatte sie in seinem ersten Berlinale-Jahr ins Leben gerufen und Alfred Holighaus die Auswahl übertragen. Nach dem Wechsel von Holighaus zur Deutschen Filmakademie hat Linda Söffker nun die Sektionsleitung übernommen; sie präsentiert im Jubiläumsjahr elf Erst- oder Zweitfilme, davon fünf Dokumentationen, alle in Weltpremieren. Sandra Trostels Utopia Ltd. eröffnet das Programm am 11. 2. (19.30 Uhr, Cinemaxx 3). Trostel begleitet die Hamburger Punkband 1000 Robota auf ihrem Weg ins Musikgeschäft, inklusive einer Einladung zu Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest“ – die die drei Jungs ablehnen, weil sie sich treu bleiben wollen. Aber was heißt schon treu? Annekatrin Hendel porträtiert in ihrer Doku Vaterlandsverräter den Schriftsteller Paul Gratzig, der Stasi-IM war, sich jedoch Mitte der achtziger Jahre selbst enttarnte. „Schädlich für die DDR“ seien die Spitzeleien gewesen, sagt Gratzig heute. In Dirk Lütters Spielfilm Die Ausbildung versucht der introvertierte Jan, in einem mittelständischen Betrieb seinen Weg zu finden – und läuft Gefahr, sich angesichts der Hierarchien und Zurichtungen in seinem Joballtag zu verlieren. Auch die Heldinnen von Lollipop Monster sind noch unterwegs zu sich selbst, wobei in Ziska Riemanns temporeichem Teenage-Comic-Pop-Drama über zwei ungleiche Mädchen jede Menge Girl-Power steckt. In letzter Minute wurde als Gastbeitrag die Debütdokumentation Stuttgart 21 – Denk mal! eingeladen. Darin zeichnen Lisa Sperling und Florian Kläger die Entwicklung einer der seit Jahren größten Bürgerinitiativen in Deutschland nach. Der Film kommt direkt aus dem Kreuzberger Schneideraum zur Uraufführung (18. 2., 16.30 Uhr, Cinemaxx 3), in deren Anschluss zur Diskussion über Bürgerprotest und Demokratieverständnis geladen wird. J.O. 59 Filme aus 30 Ländern treten in zwei Wettbewerben um die Gläsernen Bären an, Kinder- und Jugendjuries vergeben die Preise in den Sektionen Kplus und 14plus. Die Kindersparte K plus versammelt sechs Kinderfilme und sieben Filme über Kinder. In jeder Kategorie findet sich eine herausragende Produktion, bei den Kinderfilmen Die Katze von Paris, ein handgemachter Zeichentrickfilm, eine klassische Gangstergeschichte über einen Fassadenkletterer, ein Mädchen, eine Kommissarin und eine dümmliche Gangsterbande. Empfehlenswert auch Der stärkste Mann von Holland, ein Mutmacherfilm über einen klein geratenen Jungen auf der Suche nach seinem Vater. In der anderen Kategorie finden sich viele Geschichten von Kindern, die allein gelassen sind oder sich so fühlen, die zwischen die Fronten der Erwachsenenwelt geraten und dort zerstört werden oder die Kraft finden, ihren eigenen Weg zu gehen. Herausragend Wind and Fog aus Iran: Ein kleiner Junge, mit Milchzähnen in einem Greisengesicht, musste zusehen, wie die Mutter bei einem Angriff ums Leben kam und spricht seither kein Wort mehr. Die nur wenig ältere Schwester zerreißt sich geradezu, um ihn trotz seines Traumas am Leben zu halten. Die Filme der Sparte 14 plus erzählen Geschichten von Jugendlichen für Jugendliche. Es geht um die erste Liebe und die Entdeckung der Sexualität, um junge Leute, die endlich ernst genommen werden wollen oder die sich umgekehrt an die Kindheit klammern. Fast die Hälfte der 13 Beiträge sind Erstlingsfilme, etwa die drei amerikanischen Filme Jess + Moss, eine Geschichte über Freundschaft und Verlust, das sensible Südstaaten-Geschwisterdrama The Dynamiter sowie On the Ice über Verbrechen und Verantwortung in einer Inuitgemeinde in Alaska. In der Tragikomödie Skyskraber aus Dänemark stürzt ein Junge mit einem harmlosen Streich sein ganzes Dorf ins Unglück und stellt sich seiner Verantwortung, als er sich in das blinde Nachbarsmädchen verliebt. Die australische Komödie Griff the Invisible dreht sich um einen Büroangestellten, der sich für einen unsichtbaren Superhelden hält. Stadt Land Fluss von Benjamin Cantu, der einzige deutsche Beitrag, erzählt eine Coming-out-Geschichte auf einem brandenburgischen Bauernhof, mit El Chico Que Miente ist auch ein Roadmovie dabei: eine berührende Familienstory vor dem Hintergrund eines schweren Erdrutsches in Venezuela. Und Berlinale-Veteran Zhang Yimou, der 1987 den Goldenen Bären gewann, erzählt in Under the Hawthorn Tree von einer unmöglichen Liebe zur Zeit der chinesischen Kulturrevolution: ganz großes Kino. 32 Kurzfilme komplettieren das Programm.