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Ebony Bones

© Promo

Pop-Kultur im Berghain: Wer braucht schon Glam?

Neustart gelungen: Das dreitägige Pop-Kultur-Festival im Berghain endete unter anderem mit Konzerten von Sophie Hunger, Ebony Bones und einer aufschlussreichen Gender-Debatte.

Die antifeministische Krawallschachtel hat abgesagt. Statt der Journalistin Ronja von Rönne sitzt deshalb die Musikerin Balbina auf dem „Spex“-Podium zum Thema Geschlechterrepräsentation im Popgeschäft. Ein Glücksfall für die mitternächtliche Runde am Abschlusstag des Pop-Kultur-Festivals im Berghain. Denn die 32-jährige Berlinerin, die im Frühjahr ihr viel beachtetes Album „Über das Grübeln“ veröffentlichte, spricht sehr anschaulich über ihre  Erfahrungen in der Branche und verleiht der von „Spex“-Chefredakteur Torsten Groß moderierte Diskussion immer wieder produktive Impulse. „Ich bin seit 15 Jahren dabei und es war ein ständiger Kampf, von dem ich Hornhaut an den Ellenbogen habe,“ sagt sie. Männliche Kollegen, die gleichzeitig gestartet seien, hätten auf ihrem Weg schneller, deutlich mehr Förderung erfahren. Wenn diese selbstbewusst auftreten, hieße es, sie wüssten ja genau, was sie wollten. „Wenn ich dasselbe tue, gelte ich als schwierig und zickig.“
Auch die Journalistin und Musikerin Sandra Grether spricht von einem Doppelstandard. „Bei Frauen wird oft erst aufs Aussehen geschaut und dann auf die Musik. Bei Männern ist es umgekehrt“, sagt sie. Die Runde, in der zudem die Aktivistin Theresa Lehmann und die Labelmanagerin Anne Haffmans sitzen, ist aber keineswegs eine Jammergruppe, sie reflektiert nur auf erhellende Weise die immer noch sehr unausgeglichenen, teils sexistischen Strukturen. Grether hat als Beispiel das Line-Up des in zwei Wochen auf dem Flughafen Tempelhof stattfindenden Lollapalooza-Festival angeschaut. Das deprimierende Ergebnis ihrer Auszählung: 92 Prozent der auftretenden Musiker dort werden weiße Männer sein.

Frauen hatten Premium-Plätze im Programm

Dass es auch anders geht, haben die drei Tage Pop-Kultur-Festival gezeigt. Hier standen viele (nicht nur weiße) Frauen auf den Bühnen und hatten an allen drei Abenden den Premium-Platz in der größten Halle. Knallvoll ist sie allerdings erstmals am Abschlusstag beim Konzert von Sophie Hunger und ihrer hervorragenden vierköpfigen Band. Mit großer Leichtigkeit schlägt die zwischen Gitarre und Klavier wechselnde Schweizerin einen Bogen von rockigen Stücken wie „Love Is Not The Answer“ über eine Piano-Adaption von „Purple Rain“ und ihrer melancholischen Ballade „Die Ganze Welt“ bis hin zu „Spaghetti mit Spinat“, das in einer langen, umjubelten Jazz-Passage der Band gipfelt.

Ein weiterer Höhepunkt der letzten Festival-Nacht ist der Auftritt von Ebony Bones im heiligen Berghain-Herz. Die Punkrock-sozialisierte Londonerin, die eine neonbuntes Fransenkleid trägt, gibt von der ersten Sekunde an alles, schmeißt sich mit voller Power in eine krawallige Version von „W.A.R.R.I.O.R“, springt ins Publikum, tanzt mit einer Frau, kommt zurück auf die Bühne und feuert ständig die Menge an. Nach einer Weile mischen sich immer mehr Disko-Elemente in den Sound. Kuhglocken-Synkopen vom Drummer, ein funky Lick vom langhaarigen Oben-Ohne-Gitarristen - die neue Single „Oh Promised Land“ kickt sofort ans Tanzbein. So berauschend geht es weiter und man bekommt Lust die im Oktober erscheinende EP von Ebony Bones zu hören.

Es wird getanzt im gut gefüllten Club, die Atmosphäre ist wie schon an den vergangenen Tagen entspannt und locker. Bei insgesamt über 10.000 Besucherinnen und Besuchern gab es nur selten Gedränge. Das Berghain-Gelände mit seinen kurzen Wegen, den verschiedenen Locations und dem nicht übertrieben mit Gastroständen zugestellten Außenbereich hat als Festival-Gelände gut funktioniert. Es ist ein Gewinn, dass die Besucher nicht mehr zwischen einem Dutzend Clubs in Friedrichshain-Kreuzberg herumpendeln müssen wie früher auf der Berlin Music Week. Der Neustart ist gelungen, wobei die Programmmischung aus Konzerten, Diskussionen, Lesungen und Workshops nicht so innovativ ist, wie Katja Lucker vom verantwortlichen Musicboard es annociert hatte. Auch die Hoffnung von Senatskanzlei-Leiter Björn Böhning, das Festival könne einmal eine Art „Berlinale der Musik“ werden dürfte utopisch sein. Dafür hätte man auch ein bisschen Hollywood-Glam buchen müssen, wovon die erste Ausgabe weit entfernt war. Richtig große Namen fanden sich nicht im Line-Up. Aber man vermisste sie auch gar nicht, denn es gab ja - um im Berlinale-Bild zu bleiben - ein starkes Panorama- und Forumsprogramm mit ambitioniertem Kunst-Pop-Theater (Bianca Casady & the C.I.A.), intelligentem Pop (Sophie Hunger), vielen überzeugenden Elektroniker (Pantha Du Prince, Cummi Flu) und spannenden Newcomern (Isolation Berlin, Schnipo Schranke). Rote Teppiche sind ohnehin überschätzt.

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