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Platten-Cover: Wer hören will, muss sehen

Verpackungskunst: Die britische Designgruppe Hipgnosis um Storm Thorgerson hat die legendären Plattencover von Bands wie Pink Floyd und Led Zepplin geschaffen. Eine Berliner Ausstellung zeigt eine Auswahl der akribisch inszenierten Klassiker.

Man kann es ja mal so versuchen: Die Platte auflegen. Erst Rauschen, dann in Morsezeichen die Buchstaben E...V...E, dann die charakteristischen Keyboardklänge, verhallte Drums. Deutsche haben es längst als Eingangsmelodie des TV-Magazins „Monitor“ erkannt. Später folgt satter Prog-Rock, Stimmen, denen man lange Haare anhört, Streicher aus der Dose, Klangteppiche. Welches Bild evoziert der Sound dieser Platte, des vierten Konzeptalbums von Alan Parson’s Project mit dem Titel „Eve“, das 1979 erschien?

Storm Thorgerson, Gründer der britischen Designgruppe Hipgnosis, die zwischen 1968 und 1985 die ungewöhnlichsten Plattencover der Zeit gestaltete, hat sich für Frauenköpfe entschieden. Zwei schauen einen auf dem Coverfoto vorn an, klappt man es auf, fixiert einen auch die dritte, die Blonde. Die Frauen sehen aus wie osteuropäische Models, ausdrucksstarke Augen, perfekte Augenbrauen, dezent rosa geschminkte Lippen. Sie tragen elegante Minihüte mit Tüllschleiern vor dem Gesicht. Aber kreisch, was ist das?!!

Das Aha-Erlebnis mit dem „Eve“-Cover, die Entdeckung der großen Warzen auf den Antlitzen der Dunkelhaarigen, die Stellen der Verwesung auf der Wange der Blonden, hat in einer bestimmten Altersgruppe fast jeder gehabt. Zusammen mit dem Hipgnosis-Foto das Pink Floyds „Wish you were here“ schmückt, auf dem ein Anzugträger einem anderen, der eindeutig brennt, die Hand schüttelt, steht oder stand es in so vielen Haushalten wie kaum andere Kunst: Kauft man eine Platte mit einem Hipgnosis-Cover, bekommt man zum musikalischen ein visuelles Ereignis mitgeliefert.

Dabei kam Thorgerson eher zufällig zur Cover-Kunst. In Roddy Bogawas so liebe- wie respektvollem Dokumentarfilm „Taken by Storm: The Art of Storm Thorgerson and Hipgnosis“ erzählt der 67- jährige Künstler mit viel britischem Witz wie er in die Plattencoverwelt hineinrutschte: Er habe mit den Jungs von Pink Floyd, die wie er aus Cambridge stammen, in einer Hippie-WG zusammengelebt. Und als der Grafiker plötzlich die Arbeit für das erste Album verweigerte, habe er rübergerufen: Dann mache ich das eben!

Zur Vernissage der Hipgnosis-Ausstellung in Pavlov’s Dog Galerie ist Thorgerson aus London angereist, mitsamt Rollstuhl, in dem er nach einem Schlaganfall sitzt, sowie Regisseur, Assistenten und einem ganzen Raum voller Originalbilder. Die Fotogalerie platzt vor geballter Plattencover-Kunst fast aus den Nähten. Endlich kann man mal die surreal ausgeleuchteten nackten Kinder, die auf Led Zeppelins „Houses of the Holy“ einen Steinberg emporklettern, richtig anschauen, endlich fast das gesamte Pink-Floyd-Werk Revue passieren lassen. Beim Kaffeetrinken erklärt Thorgeson, dass er kein ausgesprochener Surrealisten-Fan sei: „Ich habe leider einen spießigen Geschmack, Picasso, van Gogh, das kann man ja keinem erzählen ...“ Dass er bei einem Auftrag immer die Musik anhört und auf Inspiration wartet. Und woher kommt diese? „From Dusseldorf“, sagt er trocken. Nein, er und sein Partner Aubrey Powell seien schlichtweg nicht gut gewesen im Bandmitglieder-Abfotografieren, sagt er dann, und meint es diesmal tatsächlich ernst. Stattdessen haben sie eigenständige und einprägsame Fotos inszeniert, deren Inhalte vage mit der Musik zu tun hatten: Auf „Eve“ geht es um Frauen, auf „Wish you were here“ um Verlust und Abschied, um Schmerz – symbolisiert vom Abschiedshändedruck, vom brennenden Menschen. „Man kann ohnehin nicht 45 Minuten Musik in ein Bild zwängen“, sagt Thorgerson. Darum habe man sich eben auf etwas anderes kapriziert, Unbewusstes mit eingeschlossen. Manchmal haben die Bands selbst es nicht verstanden, er übrigens auch nicht. Es sei auch egal, ob er die Musik möge oder nicht. Er sei ohnehin unmusikalisch.

Der unglaubliche Aufwand, den Hipgnosis teilweise getrieben hat, wenn etwa 700 Krankenhausbetten an einen Strand gestellt wurden, das Shooting dann aber um Wochen verschoben werden musste, ist ein weiteres Charakteristikum für den Perfektionisten Thorgerson. „Es muss immer alles echt sein“, sagt er. Alle Ebenen eines Bildes, die Hintergründe, die Motive, waren tatsächlich da. Und ja, auf dem Cover des Pink Floyd-Albums „Animal“ schwebt tatsächlich ein riesiger Heliumballon in Form eines Schweins zwischen den Türmen der Battersea Power Station. Das Schwein hatte sich damals beim Shooting losgerissen, um sanft auf das Feld eines Bauern in der Nähe zu entschweben.

Kunst auf Plattencovern ist derzeit genauso in der Krise wie das Album und die Musikindustrie selbst. Zwar wurde das neue Red-Hot-Chili-Peppers-Cover von Damien Hirst gestaltet, aber wie kann eine Fliege auf einer Pillenkapsel im kleinen CD-Format überhaupt noch wirken? Thorgerson erzählt im Gespräch, dass Hirst ihm Ideen klaue. „Damien macht das zwar sehr lustig, er sagt, dass ich doch bitte aufhören solle, Ideen zu haben, dann würde er auch keine mehr klauen.“ Ein wenig eingeschnappt scheint Thorgerson trotzdem zu sein. Ideen hat er jedenfalls noch genug. Nachdem er bei einigen Musikvideos Regie geführt hat, denkt er über Dokumentarfilme nach. Rollstuhl und Schlaganfall machen ihn ein bisschen langsamer. Aufhalten können sie ihn nicht.

Pavlov’s Dog – Raum für Fotografie, Bergstr. 19, bis 15.10., Do-Sa 16-20 Uhr

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