zum Hauptinhalt
David Bowie wird 66 Jahre alt.

© dpa

David Bowies neue Single über Berlin: Where are we now?

Das Berlin, das David Bowie in den Siebzigern erlebte, gibt es nicht mehr: Mauerfall und Hype sind über die Stadt hinweg gegangen, haben ihr Gravitationszentrum verschoben. Doch kann sie jemals einen würdigen Nachfolger für Bowie hervorbringen?

David Bowie ist nicht 66 Jahre alt. Er ist einerseits viel jünger – weil seine Musik zeitlos ist und Generationen erreicht, die, als sie geschrieben wurde, noch nicht auf der Welt waren. Zugleich ist er viel älter – wegen all der Momente totaler Beschleunigung, den verflogenen Nächten, der Entleerung, der Erschöpfung, dem Erguss eines Lebens voller Erfahrungen, wieder und wieder in ein Mikrofon. „Where are we now?“ – „Wo sind wir jetzt?“: Der Titel seiner ersten eigenen Single seit fast einem Jahrzehnt, ist daher die perfekte Frage für einen Mann, der gefangen ist zwischen verschiedenen Lebens- und Zeitaltern, „a man lost in time near KaDeWe“, wie es im Text heißt; der den Schulterblick auf die gewaltige Fläche der Vergangenheit wagt, und dann gleich auf die schwindenden Möglichkeiten zukünftiger Erkundung blickt. Sterblichkeit schwebt dabei über Bowie, der sich im Jahr 2004 einer Herzoperation unterzog.

Wie es Bowies Musikerkollege Sven Regener in seinem Roman “Herr Lehmann” andeutete: Es ist das Alter von 30 Jahren, in dem man "beginnt, eine Vergangenheit zu haben, eine gute alte Zeit und den ganzen Scheiß". Wenn der Prozess, der nun ganz akut von Bowie erfühlt wurde, beginnt: In dem man sich umblickt, um sogleich einen schnellen Blick nach vorn zu riskieren. Am Abend meines 30. Geburtstags entschied ich mich, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen und anderswo nach einer Zukunft zu suchen. Das bedeutete, dass ich aus meiner WG im Londoner Stadtteil Brixton auszog, in der Straße, in der David Bowie geboren wurde, um nach Berlin zu ziehen, wo jener als Musiker und Produzent seinen Karrierehöhepunkt erreichte. Ich fühlte mich mit Bowie verbunden, war von meinem Vater mit seiner Musik aufgezogen worden. Der versorgte mich dazu mit Geschichten, wie er einst Ziggy Stardust hörte, immer wieder, stoned, mit seinem Kumpel Ian Little von der Kingston School of Art. Ich würde, versprach ich mir selbst, gleich nach meiner Ankunft in Berlin eine Pilgerreise zu all den Bowie-Sehenswürdigkeiten machen: den Hansa Studios, der Hauptstraße 155, dem Dschungel. Aber ich tat es nie und vermute, dass viele derer, die mit dem gleichen Versprechen im Gepäck in diese Stadt zogen, die sich seit Bowies fulminanten drei Jahren hier so unumkehrbar gewandelt hat, es ebenso wenig taten.

Und Bowie weiß das; spürt, dass das Gravitationszentrum der Stadt sich verschoben hat, und dass seine monumentale Berlin-Trilogie und die halbe Stadt, in der sie erschaffen wurde, zurückbleibt, weitgehend unberührt von den prall gefüllten Rängen der neuen kreativen Klasse Berlins. Seine Antwort ist diese von milder Ironie geprägte neue Single; eine umfassende Gebärde und eine schwermütige Verkündigung an die jungen Möchtegerne: „Damals“, sagt der aus der Zeit gefallene Mann, „waren all dies nur Felder.“

In seiner Stimme ist da die Verwundbarkeit eines Mannes, der sein eigenes Erbe betrachtet, während der Grund um ihn in Bewegung gerät. Aber so lange er lebt (und es IST gut, ihn lebend zu hören), sollte Bowie selbstbewusst bleiben. Denn trotz des Grases, das nun über Bowies alten Schöneberger Jagdgründen wächst, trotz der Unmenge an DJs, Produzenten, Künstlern und den ungezählten Musikern im neuen Berlin, trotz der bis zum Erbrechen wiederholten Proklamationen seiner utopischen Qualitäten, läuft Berlin Gefahr, zur Einöde zu werden. Wo zu viel Talent vergeudet wird. Wo es wenig Output gibt. Und wo es keine Handelsplätze für wahre Klasse gibt. Es wird eine Weile dauern, bevor Berlin einen neuen “Thin White Duke” hervorbringt.

Zum englischen Originaltext

Zur Startseite