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Bei einer Performance am Weiher auf dem Festspielhügel singt der Dragperformer Le Gateau Chocolat in der Pause. Hier am Premierenabend vergangenen Donnerstag.

© dpa/Tobias Hase

Eine Dragqueen in Bayreuth: Wie Festspiele und Besucher auf den Protest von Le Gateau Chocolat reagierten

Bei der Bayreuth-Premiere gab es Buhs für den schwarzen Travestiekünstler - und rassistische Facebook-Kommentare. Auf dem Hügel fliegen Le Gateau Chocolat inzwischen die Sympathien zu.

Am Sonntag ist die Welt wieder in Ordnung. Die Dragqueen Le Gateau Chocolat singt erneut in der ersten "Tannhäuser"-Pause im Park am Fuß des Bayreuther Festspielhügels, unten am Teich neben Einhorn-Schwimmtier und Campingliege, und alle jubeln ihr zu. Die Festspielbesucher in ihren Roben genauso wie die Bayreuther Passanten, die beim Hügel-Besuch endlich mal mehr geboten bekommen als nur das Pausenpublikum beim Sektglas-Plausch. Sie jubeln dem bärtigen schwarzen Travestiekünstler in High Heels und ausladendem Tütü bei seinen Pop-Titeln genauso zu wie bei Elisabeths Hallen-Arie - auch wenn die naturgemäß erheblich tiefer in Bariton-Lage erklingt.

Während Manni Laudenbach als Blechtrommel-Oskar im Gummiboot auf dem Teich herumschippert und Parolen ins Megafon ruft, während Elena Zhidkova, die Sängerin der Venus, am anderen Teichufer ein Transparent mit der Wagner-Parole "Frei im Wollen, frei im Tun, frei im Genießen" bemalt, gehören die meisten Sympathien dem etwas anderen, aber nicht minder hinreißenden britischen Sänger mit seinen glitzernden Wimpern-Extensions.

Drei Tage vorher, bei der Premiere von Tobias Kratzers "Tannhäuser"-Neuproduktion auf dem Grünen Hügel, hatte die Dragqueen das etwas anders erlebt und danach auf Facebook und Twitter von einer "elenden Schande" gesprochen. Sie sei die einzige, die beim Schlussapplaus ausgebuht wurde, "das sagt viel darüber aus, wer ihr (immer noch) seid". Der Künstler, der 2011 beim Kunstfestival Adelaide Fringe debütierte und mit Zirkuskompanien ebenso auftrat wie am Royal Opera House in London und der Oper in Sydney, erinnerte an Grace Bumbry, die 1961 als "schwarze Venus" in Bayreuth die Gemüter erregte und teils rassistische Proteste auf sich zog. "Ich stand gestern Nacht auf ihren Schultern", so die Dragqueen auf Facebook, "um stolz weiterzutragen, was wirklich keine Provokation sein sollte."

Im "Tannhäuser" bilden Le Gateau Chocolat, Blechtrommel-Oskar, Tannhäuser als trauriger Clown und Venus im sexy Glitzer-Overall eine rebellische Aussteigertruppe. Das Quartett mischt das kulturelle Establishment der Wartburg und damit auch des Festspielhügels auf, erscheint sie am Ende des ersten Akts doch in Gestalt des Festspielhauses auf der Bühne. Kratzers Inszenierung bricht eine Lanze für diese Helden einer Gegenkultur, die am Ende keine Chance hat im konservativen, etablierten Kunstreligions-Betrieb der Ritter und Sänger.

Die Festspiele twitterten eine Liebeserklärung an den Dragperformer

Die Realität ist nicht ganz so brutal: Auf die Buhrufe für den Travestie-Artisten war schon bei der Premiere auch mit Gegen-Jubel reagiert worden, und die Festspiele twitterten ganz offiziell: „George, we love you, als Mensch und Künstler!“: Wobei Le Gateau Chocolat in den sozialen Medien offenbar teils heftige rassistische Bemerkungen vorfand (von "Du gehörst nicht hierher" bis zu "Du zerstörst die deutsche Kultur") und sie soweit wie möglich blockierte. "I never used block, hide, remove, mute, destroy as much as I have this weekend," schrieb er am Samstag auf Facebook - und postete ein Foto von seinem Ausflug zur CSD-Demo in Berlin. "Ich kam, habe ein bisschen geweint und mich wieder aufgetankt."

Le Gateau Chocolat (links) auf der "Tannhäuser"-Bühne, beim Joggen im Tigerdress. Im Auto: Manni Laudenbach als Bliechtrommel-Oskar neben Sephen Gould als Tannhäuser und Venus, deren Partie bei der Premiere von Elena Zhidkova gesungen wurde.
Le Gateau Chocolat (links) auf der "Tannhäuser"-Bühne, beim Joggen im Tigerdress. Im Auto: Manni Laudenbach als Bliechtrommel-Oskar neben Sephen Gould als Tannhäuser und Venus, deren Partie bei der Premiere von Elena Zhidkova gesungen wurde.

© dpa/Enrico Nawrath/Festspiele

Zurück in Bayreuth war der Jubel am zweiten "Tannhäuser"-Abend dann einhellig. Während auf Social Media auch altgediente Wagnerianer eine Lanze für die Dragqueen brachen ("Es war ein großer Abend für Bayreuth und die Geschichte der Oper. Nicht zuletzt wegen Ihnen"), wurde im Festspielhaus nicht nur Lise Davidsen als überragende, zugleich majestätische wie zu Tränen rührende Elisabeth vom Publikum gefeiert, sondern auch die Venus-Truppe. Einschließlich Le Chateau Chocolat. Selbst bei Maestro Valery Gergiev, der die akustischen Tücken des Bayreuther Orchestergrabens kaum besser zu meistern wusste als bei der Premiere, ließen die Zuschauer Milde walten.

Im Interviews sagt Le Gateau Chocolat einmal: "Before I’m gay, black, fat, and all these things, I’m human first." Ich bin schwul, schwarz, dick und all das, aber zuallererst bin ich ein Mensch. Wagner, dessen Opern so häufig von Ausgegrenzten erzählen, hätte das vermutlich gefallen.

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