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Rose Valland (in dunklerer Kleidung) beim Abtransport von Gemälden, um 1946.

© Smithsonian Archives of American Art

Wie Museen von der Besetzung Frankreichs profitierten: Kunst und Gier

Auch wenn gegenwärtig die größte öffentliche Aufmerksamkeit entwendeten Artefakten der Kolonialzeit gilt, so hat die Provenienzforschung weiterhin ihren Schwerpunkt bei der NS-Zeit.

Fast schien es im vergangenen Jahr, als würde die Rückführung der Benin-Bronzen nach Nigeria, überhaupt die Debatte um den Kolonialismus in den Museen das Thema NS-Raubkunst verdrängen. Die Sorge insbesondere unter Nachfahren jüdischer Sammler wurde gesteigert durch die aufgeheizte Debatte um eine vergleichende Bewertung von Holocaust und Kolonialismus.

Provenienzforschung boomte

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg, das seit 2018 ebenfalls die Erforschung von Sammlungsgut aus kolonialem Kontext fördert, hat jedoch immer betont, dass NS-entzogene Kunst Priorität behalten würde.

Zwei aktuelle Publikationen bestätigen, dass die Provenienzforschung auf diesem Gebiet keineswegs nachgelassen hat und das Thema aktuell bleibt. Als Ergänzung zur Bilanzausstellung über Hildebrand Gurlitt hatte das Kunstmuseum Bern zum Jahresende 2022 den Band „Kunst, Konflikt, Kollaborationen – Hildebrand Gurlitt und die Moderne“ vorgelegt. Ein Ende der Recherchen ist in Bern weiterhin nicht absehbar.

Die Entdeckung 2013 der über Jahrzehnte verborgenen Sammlung des Kunsthändlers in der Münchner Wohnung seines Sohnes Cornelius weckte ein völlig neues Interesse am Thema. Der noch junge Zweig Provenienzforschung erfuhr dadurch enormen Anschub. Der Blick fiel dabei auf die deutschen Museen, ebenso auf den französischen Markt und welche Rolle deutsche Mittelsmänner dort während der deutschen Besatzung spielten. Gurlitt hatte in Paris nicht nur für das geplante „Führer“-Museum eingekauft, sondern auch für bestehende Häuser, die für sich eine günstige Gelegenheit sahen, Sammlungslücken zu schließen.

Nach einer ersten Konferenz vor fünf Jahren in Bonn parallel zur Gurlitt-Ausstellung in der Bundeskunsthalle über „Raub und Handel. Der französische Kunstmarkt unter deutscher Besatzung (1940-1944) folgte zu Corona-Zeiten die Fortsetzung digital. Diesmal ging es um die Verwicklungen deutscher Museen in fragwürdige Kunsttransfers. Der ebenfalls bei de Gruyter erschienene Band „Kunst und Profit. Museen und der französische Kunstmarkt im Zweiten Weltkrieg“ fasst die Forschungsergebnisse zusammen.

Herausgeber sind Elisabeth Furtwängler, die das Findbuch der Akteure auf dem französischen Kunstmarkt während der deutschen Besatzung mit betreut, und Mattes Lammert, der bei Bénédicte Savoy am TU-Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik forscht. Sie stehen für eine junge Generation, die „den Weg in eine bessere Kunst- und Museumshistoriographie des 20. Jahrhunderts“ öffnet, wie sich Savoy und Gilbert Lupfer, Leiter vom Zentrum für Kulturgutverluste, in ihrem Vorwort erhoffen.

Beide Seiten profitierten

Neu ist, dass sich deutsche und französische Forscher:innen verbünden und ohne Scheu auf die Vorgänge beidseits der Grenze blicken. Auch französische Händler profitierten von der Enteignung jüdischer Sammler und Kollegen.

Zu den spannendsten Kapiteln gehört, dass sich deutsche Museen nach Kriegsende weiterhin im Recht glaubten, die während der Besatzung erworbenen Gemälde behalten zu dürfen, obwohl bereits seit Januar 1943 durch eine Londoner Erklärung die getätigten Geschäfte als ungültig galten.

So schalteten sich 1950 sowohl der damalige Oberbürgermeister und Konrad Adenauer als erster Kanzler der Bundesrepublik ein, um den Abzug der Werke von Courbet, Degas, Delacroix, Ingres und Renoir aus dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu verhindern.

Im Antwortschreiben von Rose Valland, der Leiterin der französischen Commission de Récupération Artistique, ist Fassungslosigkeit herauszulesen: „Wir können (…) nicht glauben, dass es im Interesse der Stadt Köln wäre, wenn sie die ihr vom Dritten Reich mit kriegerischen Mitteln zur Verfügung gestellten Kunstwerke als normale Erwerbung betrachten würde.“

Dubiose Doppelrollen

In diesem Fall war die Herkunft der Bilder eindeutig. Bei vielen anderen aber verwischten die Vermittler erfolgreich ihre Spuren. Eine zweifelhafte Rolle fiel dabei Museumsdirektoren zu, die vom militärischen Kunstschutz zur Kontrolle des französischen Kunstmarkts entsandt wurden und sich gleichzeitig für ihre eigenen Sammlungen eindeckten. Noch immer befinden sich Werke in öffentlichen Häusern, die aus dieser Grauzone stammen.

Erst zwei 2018 aufgetauchte Fotos brachten die Provenienzforscherin Annette Baumann darauf, dass der nach Kriegsende von der Landeshauptstadt Hannover erworbene Modigliani 1941 vom berüchtigten Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg enteignet worden war. Der deutsche Kunsthändler, der das Geschäft zunächst mit Baden-Baden eingefädelt hatte, hatte bei seiner späteren Befragung durch die Amerikaner glaubhaft machen können, es sei auf dem Weg nach Deutschland verloren gegangen.

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