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Kultur: Wir sind’s nicht gewesen

Türkische Geschichtsdebatte: Ein Kinofilm über den Militärputsch 1980 erregt die Gemüter

„Verehrte türkische Nation“, mit diesen Worten und der Nachricht, dass „die türkischen Streitkräfte die Führung des Landes vollständig übernommen haben“, wendete sich Putschgeneral Kenan Evren am 12. September 1980 an die Bevölkerung seines Landes. Die TV-Ansprache ist eine Schlüsselszene des ersten türkischen Kinofilms, der sich mit dem Militärputsch vor 27 Jahren befasst. Schon vor seinem Kinostart am gestrigen Freitag sorgte „Zincirbozan“ für Diskussionen. Denn die Hauptthese lautet, dass nicht die Türken selbst, sondern die USA die Verantwortung für den Militärputsch trugen, der die demokratische Entwicklung des Landes um Jahre zurückwarf.

Der Titel „Zincirbozan“ bedeutet zum einen „Ketten zerreißend“, zum anderen handelt es sich um den Namen eines Militärstützpunktes in der Westtürkei, auf dem die Armee nach dem Putsch die führenden Politiker des Landes internierte. Der Film wurde an vielen Originalschauplätzen gedreht und lässt die blutigen Auseinandersetzungen Ende der siebziger Jahre wieder aufleben, die zu den schmerzlichsten Kapiteln der neueren türkischen Geschichte gehören und das Land bis heute prägen. „Über all das ist in der Türkei bisher nicht gesprochen worden“, sagt der Politikwissenschaftler Kürsad Bumin von der angesehenen Istanbuler Bilgi-Universität. „Der Putsch ist bis heute weder juristisch noch politisch noch psychologisch aufgearbeitet worden.“ Die Macher von „Zincirbozan“ beteuern, genau das wollten sie jetzt tun. „Es kann jederzeit einen neuen 12. September geben“, warnt etwa der Schauspieler Suavi Eren, der den Putschgeneral Evren verkörpert. Und Polit-Veteran Demirel lobte, der Film stelle seine eigene Rolle realitätsgetreu dar. Vielleicht ist Demirel deshalb so zufrieden, weil „Zincirbozan“ weder den türkischen Militärs noch den türkischen Politikern die Schuld gibt. Die USA seien es gewesen, die das Land ins Unglück stürzten – so lautet die Hauptthese. Danach hätten die USA massiv auf die Rückkehr Griechenlands in die militärische Struktur der NATO gedrängt, was von der Türkei ausgeschlossen wurde. Für die einstimmige NATO-Entscheidung wurde deshalb die Entmachtung der Demirel-Regierung eingefädelt. So setzt sich nach dem Actionstreifen „Tal der Wölfe“ oder dem Buch „Metallsturm“, in denen die Amerikaner die Rolle des böswilligen Strippenziehers spielen, die Tendenz der unseligen Selbstentschuldung fort. „Statt alles auf Amerika zu schieben, müssten wir uns fragen, wie wir in ein so totalitäres System hineinschlittern konnten“, sagt Politologe Bumin.

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