
© Kurt Wyss/Galerie Klüser
Wir waren die Ausnahme: Der Münchner Galerist Bernd Klüser im Interview
Galerist Bernd Klüser steht für Künstler der Avantgarde, er machte Andy Warhol und Joseph Beuys bekannt. Nun hört er auf – auch weil der Kunstmarkt sich verändert.
Stand:
Herr Klüser, nach einem halben Jahrhundert beenden Sie die Ausstellungstätigkeit Ihrer Münchner Galerie und kündigen stattdessen Projekte an. Welche Idee steht dahinter?
Unsere Bestände sind umfangreich, wir werden sie in den kommenden Jahren sukzessive abwickeln. Als Auftakt der Reihe „Zurück in die Zukunft“ zeigen wir Werke von Tony Cragg, Constantin Luser und Jorinde Voigt. Wir planen auch innovative Formate und Sonderpreisaktionen. Unsere Künstler können wir zwar nicht weiter vertreten, bleiben ihnen so aber freundschaftlich verbunden.
Die Entscheidung Ihrer Tochter Julia, als Mitgesellschafterin die Galerie nicht weiterzuführen, halten Sie für „nachvollziehbar“, wie Sie auf Ihrer Webseite schreiben. Was stört Sie am aktuellen Kunstmarkt?
Vor allem amerikanischer Einfluss hat den Kunstmarkt beängstigend kommerzialisiert. Die Kunst läuft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit und gesellschaftliche Notwendigkeit zu verlieren. Die Spekulation hat die Passion überholt.

© Timothy Greenfield Sanders/Galerie Klüser
Welche Gründe haben Sie noch für Ihren „Exit“?
Die immer höheren Fixkosten für Mieten, Reisen, Messen, Transporte sind selbst für etablierte Galerien kaum noch zu stemmen. Hinzu kommt eine ausufernde Bürokratie. Das Geldwäschegesetz ist ein Beispiel: Ab einer Summe von 10.000 Euro müssen wir viel zu viele persönliche Daten unserer Käufer preisgeben.
Ihre Karriere begann in München. Hier absolvierten Sie Ihre Juraexamen und lernten 1968 die Galeristen Heiner Friedrich und Franz Dahlem kennen. Beide standen für Aufbruch…
Und sie waren die Ausnahme. Im Bereich der zeitgenössischen Kunst war München tiefste Provinz. Ich konnte Heiner mit einer Art privatem Kunstfonds bei einigen Projekten unterstützen. Einmal fehlten ihm die Mittel, fünf großformatige Gemälde von Cy Twombly zu erwerben. Jedes Werk kostete damals 11.000 Mark, wir finanzierten die Summe gemeinsam. Heute wäre dafür ein hoher zweistelliger Millionenbetrag fällig.
Wie kamen Sie zur Kunst?
Schon als 15-Jähriger war ich ein Bewunderer von Edvard Munch und verbrachte viele Stunden im Wuppertaler Von der Heydt-Museum. Noch vor dem Abitur lernte ich Ernst Wilhelm Nay kennen und wurde ein Gesprächspartner der jungen Generation für ihn. Er hatte keine Kinder und lehrte nicht an einer Akademie. Der einzige jüngere Künstler, der seine Bilder damals schätzte, war Sigmar Polke. Er besuchte uns in unserer Münchner Wohnung wie viele andere Künstler, darunter Blinky Palermo, oder Robert Ryman. Von allen hatten meine Frau Verena und ich schon als Studenten Arbeiten erworben.
Dann trafen Sie Joseph Beuys.
1970 hatten Jörg Schellmann, der später mein Geschäftspartner wurde, und ich die Idee, das erste Oeuvreverzeichnis seiner Multiples zu publizieren. Es faszinierte uns, dass Beuys den Kunstmarkt demokratisieren und sein komplexes Werk für viele verständlich machen wollte. Die Editionen waren für Sammler oft der Türöffner für die Auseinandersetzung mit seinen humanistischen Ideen und seiner existenziellen Kunst.
Jahre später folgte der Skandal mit ‚zeige deine Wunde’, dem Environment von Joseph Beuys, das Armin Zweite, der ehemalige Direktor des Lenbachhauses, für das Museum ankaufte
In Bayern fand damals deswegen ein Kulturkampf statt. Vorweg: Um die Kunst von Beuys zu verstehen, sollte man zwei Dinge wissen, erstens: Er wollte Geist und Materie verbinden, unter der Erde sein, eine Art von Inkarnation. Dazu kann ich eine erstaunliche Geschichte erzählen: Als er 1959 seine Hochzeitsreise für einige Tage nach Paris machte, faszinierte ihn von allem, was er dort sah, am meisten die Metro! Also verbrachten er und seine Frau den größten Teil der Zeit unterirdisch mit U-Bahn Fahrten. Auch ‚zeige deine Wunde’ sollte später einen Platz unter der Erdoberfläche finden.
Und zweitens?
Seine Kunst hängt immer mit dem Leben zusammen, das schließt Tabuthemen wie Krankheit oder Tod mit ein. So hat auch die Idee zu ‚zeige deine Wunde’ reale Bezüge. Schellmanns Bruder war Professor für Pathologie in Erlangen. Dort gab es Bahren aus Zinkblech, auf denen die Leichen gelagert wurden. Zwei wurden Ausgangspunkt für das Environment. Beuys baute es 1976 in einem großen Raum in der Fußgängerunterführung unter der Maximilianstraße auf. Sie besteht aus fünf Doppelobjekten, im Zentrum befinden sich die Leichenbahren. Unter ihnen zwei mit Fett gefüllte Zinkblechkästen, Thermometer, Vogelschädel und weitere Elemente. Keine leichte Kost.
Ab 1971 nahmen Sie regelmäßig an der Messe Art Basel teil, Sie wurden einer der großen Player. Warum stoppten Sie 2016 die Teilnahme?
Basel spielte eine wichtige Rolle für uns, hier erwirtschafteten wir manchmal mehr als die Hälfte unseres Jahresumsatzes. Dann veränderten sich die Strukturen. Nicht zuletzt durch die in den neunziger Jahren dominierenden Berliner Galeristen wurden die Münchner Galerien immer weiter an den Rand gedrängt. Dazu stiegen die Kosten absurd. Es hatte für uns keinen Sinn mehr, solche Summen auszugeben.
Mit Andy Warhol begannen Sie 1980 zu arbeiten, nachdem Sie zwei Jahre zuvor Ihre eigene Galerie eröffnet hatten.
Er hatte seine revolutionäre Pop-Art-Phase bereits hinter sich. Für mich ist er der einzige uramerikanische Künstler, denn er konzentrierte sich auf den American Way of Life und seine Konsumfetische. Warhols Einfluss auf die zeitgenössische Kunst ist unüberbietbar, er hat alles vorweggenommen, bis hin zu unserer heutigen Selfie-Besessenheit. Er und Beuys sind die beiden Künstlergenies, die ich traf.
Zwei Antipoden. Verstanden sie sich?
Prächtig. Allerdings unterhielten sie sich beim Frühstück weniger über Kunst als über die Farbe von Eierbechern. Warhol und ich arbeiteten vertrauensvoll zusammen. Ich schlug ihm Themen vor wie die Porträts von Beuys, die Serie der „Details of Renaissance“ und kurz vor seinem Tod die Lenin-Gemäldeserie. Andy war fair und großzügig, ließ sich aber immer alles vorfinanzieren.
Wie geschäftstüchtig.
Allerdings. Er gab mir Tipps wie: Wenn Du Geld verdienen willst, musst Du Fitnesscenter aufmachen. Die gab es in Europa noch nicht, in den USA waren sie ein Millionen-Geschäft.
Nach welchen Kriterien haben Sie generell Ihre Künstler ausgewählt?
Subjektiv und undogmatisch. Beeindruckt war ich von Enzo Cucchi und Mimmo Paladino, zwei Prototypen der Transavanguardia, die Ende der siebziger Jahre die Arte Povera-Bewegung ablöste. Ich fand ihre Arbeiten poetisch und radikal zugleich; die so oft totgesagte Malerei war zurück. Ihre Galeristen Anthony d’Offay, Enzo Sperone und Bruno Bischofberger zählten zu den einflussreichsten des Markts. Vor allem Bischofberger verwöhnte seine Künstler Chia, Cucchi und Clemente. Als erstes schenkte er jedem einen Mercedes 190, danach flog er mit ihnen nach New York und ließ sie von Warhol porträtieren. Da konnte ich natürlich nicht mithalten, trotzdem wollten Cucchi und Paladino mit mir arbeiten. Alle vier Künstler wurden internationale Stars, die Preise stiegen und stiegen. Eine Museumsausstellung folgte der anderen, bis ihr Markt nach üppigen zehn Jahren fast zusammenbrach.
Wie erklären Sie das Desaster?
Der Kunstmarkt war immer volatil und nicht berechenbar, besonders in den USA. Zum Glück vertrat ich mehrere amerikanische Künstler, neben Andy Warhol und Alex Katz auch die junge Generation mit Robert Longo, David Salle und Cindy Sherman. Bei ihnen waren wir allerdings zu früh. Von Cindy boten wir in ihrer ersten europäischen Ausstellung unter anderem die schwarz-weißen ‚Untitled Filmstills’ an, der Preis pro Arbeit war 400 Dollar. Heute sind sie ikonisch, damals kaufte niemand.
Frustrierend, oder?
Als Galerist muss man lernen, mit dieser Art von Frustration zu leben. Wir kamen gut zurecht, wir waren breit aufgestellt und im Gegensatz zu heute machten wir die Hälfte unserer Umsätze mit Museen. Das war gut für unser Renommee und vor allem für die Künstler.
Kunst kann Leidenschaft und Investment zugleich sein. Sehen Sie das auch so?
Durchaus. Hier gilt für Kunst dasselbe wie für Aktien: Wenn ich Aktien eines Unternehmens kaufen will, mache ich mich zuerst schlau und analysiere die Firma und ihren Markt. Genau dasselbe sollte man mit Kunst tun, sich mit ihrem Inhalt und ihrer Qualität beschäftigen.
In den USA wird die Freiheit der Kunst derzeit massiv bedroht. Müssen wir uns auch in Europa um unsere Demokratie und damit unsere Meinungs- und Kunstfreiheit sorgen?
Ja leider – das ist die äußere Bedrohung. Hier sind wir wieder bei Beuys und seiner Sensibilität für die zentrale Bedeutung von Freiheit. Er hat dafür gekämpft, wir haben mit anderen dafür gekämpft. Jetzt stehen wir kurz vor Verhältnissen, wie sie Lion Feuchtwanger in seinem Schlüsselroman ,Erfolg’ über den Aufstieg der NSDAP schildert. Mehr denn je gilt: Kunst ist das sichtbarste Korrektiv, das wir haben, um unsere Freiheit zu verteidigen. Für sie und die Demokratie müssen wir nun wieder kämpfen.
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