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Café Berio

© Karsten Schork

Wo bleibt der Gewerbe-Mietschutz?: Die Städte veröden, weil Traditionsläden aufgeben müssen

Aus für das Café Berio, den Schuster nebenan, den kleinen Eisladen: Unser Autor fordert als Gegenmaßnahme Schutzfristen auch bei Gewerbemieten, um die Identität der Stadt zu wahren.

Nikolaus Bernau
Ein Kommentar von Nikolaus Bernau

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Bei allen Wahlen der letzten Zeit war es das Grundrauschen-Thema: Die Angst vor dem Verlust von Identitäten, welche auch immer. Sie hängt oft an Orten, an Institutionen wie etwa dem Café Berio zwischen Winterfeld- und Nollendorfplatz. Seit 73 Jahren hieß es hier: Torte macht glücklich. Schluss damit, voraussichtlich endgültig. Eine Lücke entsteht, die auch durch das noch so schicke Ersatzrestaurant an der Stelle, wenn es denn eines geben sollte, nicht zu schließen ist. Raffgierige Hausbesitzer und Investoren leisten mal wieder ganze Arbeit, um der Vielfalt, den Identitäten dieser Stadt, die sie doch so gerne als Hintergrundbild ausbeuten, zu schaden. 

Der Supermarkt X, der Edel-Döner Y, ein weiterer Klamottenladen, der supercoole Apple-Shop, das Hip-Restaurant Z – sie sind letztlich gleichgültig für den Charakter einer Stadt. Ganz zu schweigen von den grassierenden Alkohollagern, die sich als „Späti“ tarnen. Sie kommen und gehen. Aber eine Buchhandlung, die sich gegen die Internetisierung unserer Welt stemmt, der Gürtel- und Taschenmacher im Keller, der schon immer da war, Stadtcafés, in denen sich die ganze Gesellschaft trifft, die Eckkneipe, die seit Ur-Ur-Großvaters Zeiten einfach nur da ist, eine Eisdiele, die skurriler Weise um exakt 17 Uhr am Sonntag ihre Pforten schließt, egal, ob gerade Supersonnenwetter oder frostigster Eiswind herrscht – sie sind mehr als buntes Stadtbild, sie bilden Charakter, Identitäten.

Aber gerade solche Geschäfte können meist die von Investoren verlangten Mieten nicht zahlen. Wenn den Betreibern das Haus nicht gehört, genügt ein einziger Erbgang - und Ende. Da hilft auch kein Denkmalschutz, der kann nur Räumlichkeiten, nicht die Nutzung unter Schutz stellen. Online-Petitionen stärken zwar die Communitys, aber selten retten sie Läden.

Hier geht es nicht um Geschäfte, die schlecht geführt werden, sondern solche, die trotz guter Geschäftslage durch überzogene Mietforderungen und zu kurze Vertragsfristen zum Aufgeben gezwungen werden. Gewerbemieten können nämlich im Grundsatz „frei“ ausgehandelt werden. Diese angebliche Freiheit gibt es aber nur für den Vermieter – eine Institution kann nicht einfach mal umziehen. Dies Gewerbemietrecht ist nicht der einzige, aber ein Hauptgrund, warum Innenstädte veröden.

Kurz: Es braucht endlich die seit Jahrzehnten geforderten Mietspiegel auch für Gewerbemieten. Und Schutzfristen. Nur dann können Städte auch Charakter und Selbstbild bewahren, dadurch Menschen an sich binden, Talente, Arbeitskräfte und schließlich Steuereinnahmen. Dass Vermieter das nicht einsehen, ist dumm - aber ihr Recht. Dass der Staat nicht endlich handelt – das ist jene ultraliberale Ideologie, die viele Menschen von eben diesem Staat entfremdet.

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