
© Lena Laine
Wo das Phantastische zuhause ist: Jakob Hrůša dirigiert die Berliner Philharmoniker
Toller Janáček und Bartók, enttäuschender Beethoven: Das Konzert der Philharmoniker vom Donnerstag gleicht einer Achterbahnfahrt.
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In Tschechien scheinen die Menschen eine quasi natürliche Nähe zum Phantastischen, Grotesken, Märchenhaften, Skurrilen zu spüren, siehe Hašeks „Braver Soldat Schwejk“, Kafkas Romane, der schweigende Zauberer Pan Tau.
Auch am Musiktheater kann man das ablesen, an Dvoráks „Rusalka“ etwa, vor allem aber an den Opern Leoš Janáčeks, in der „Sache Makropoulos“ oder den „Ausflügen des Herrn Brouček“ – die ab Sonntag an der Staatsoper zu hören sind, dirigiert von Simon Rattle.
Dessen früherer Arbeitgeber, die Berliner Philharmoniker, haben jetzt noch weitere selten zu hörende Musik von Janáček aufgeführt, eine Suite aus der in mehreren Metaebenen verschachtelten und vielleicht deshalb unbekannt gebliebenen Oper „Osud“ („Schicksal“). Ein Komponist verarbeitet hier seine eigene, entsetzlich endende Liebesgeschichte. Am Pult, passenderweise, ein Tscheche: Jakob Hrůša stammt aus Brünn, wo Janáček die meisten seiner Opern uraufführen ließ, und gilt als Spezialist für die Musik seiner Heimat.
Dichtgewebte Mikrofiguren
Man meint, das zu hören: im dunkel wogenden Streicherteppich, den bläsergetriebenen grellen Melodien, die einem Tanz Platz machen, den dichtgewebten Mikrofiguren, über sie sich plötzlich ein süßes Geiegnsolo von Konzertmeister Daishin Kashimoto legt.
Leider kann Hrůša das musikalische Niveau nicht halten. In Beethovens Es-Dur-Klavierkonzert, dem letzten und schönsten der fünf, spielt das Orchester angestrengt und gepresst, nur die Hörner geben eine Ahnung vom Elysium. Vielleicht ist Solist und Artist in Residence Seong-Jin Cho die Ursache dafür. Der Koreaner macht zu viel Tempo, pflügt sich durch die Partitur mit einem Anschlag, der nicht nur „hart“, sondern gewollt ausdrucksstark ist und damit nichtssagend.
Wo bleibt die Poesie?
Gerühmt für seine poetischen Interpretationen und auch von Rattle als „Poet am Klavier“ beschrieben, ist davon an diesem Abend nichts zu hören, höchstens im Adagio, wo Cho offenbar weniger unter Druck steht, etwas beweisen zu müssen. Doch am Ende ist die alte Frage: „Ist weniger mehr oder ist mehr mehr?“ eindeutig zu Gunsten des Ersteren entschieden.
Zum Glück gibt es noch ein weiteres Stück nach der Pause, Bartóks Schwanengesang: das „Konzert für Orchester“. Und mit flitzeflinken Streichern und mal martialisch, mal quäkend dreinfahrendem Blech und einer fein abgestimmten Klangbalance finden die Philharmoniker und Hrůša zurück zur Stärke des Konzertbeginns.
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