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Vorbei: Kirill Serebrennikows „Nurejes“ wurde vom Spielplan des Bolschoi verbannt.

© dpa/Friedemann Kohler

Zensur in Russland: Feindbild Queerness

Das „Nurejew“-Ballett ist abgesetzt und aus den Buchhandlungen verschwinden immer mehr Titel. Zu den Folgen der Gesetzesverschärfung gegen „Propaganda nicht-traditioneller Beziehungen“.

Eine Kolumne von Christiane Peitz

Nun ist es wieder passiert. Kirill Serebrennikows „Nurejew“-Ballett wurde letzte Woche im Moskauer Bolschoi-Theater vom Spielplan genommen. Das Erfolgsstück über das Leben des schwulen Tanz-Weltstars, der 1961 in den Westen emigrierte, inszeniert von einem seine Homosexualität ebenfalls nicht verbergenden Regisseur, der jetzt ebenfalls im Westen lebt, war schon bei der Premiere im Juli 2017 gecancelt worden.

Wenige Monate später wurde es dann doch aufgeführt und gehörte seitdem zu den beliebtesten Ballett-Abenden des Bolschoi. Die Nachrichtenagentur Tass nannte „Nurejew“ ein Ereignis, Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte es gar zu einem „Stück von globaler Bedeutung“. Das verstehe, wer will: Kirill Serebrennikow saß damals in Moskau im Hausarrest.

Die Willkür von Unrechtsregimen in Sachen Kunst- und Meinungsfreiheit als Mittel der Repression ist weithin bekannt, auch aus Ländern wie China, Iran oder der Türkei. Mal gnädig, mal gnadenlos: In Russland greift jetzt die Verschärfung eines Gesetzes, das 2014 von der Duma zum angeblichen „Schutz von Minderjährigen“ erlassen und im Dezember 2022 auf jegliche Verbreitung von „Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen, Geschlechtsumwandlungen und Pädophilie“ ausgeweitet wurde. Für jede positive öffentliche Äußerung oder künstlerische Auseinandersetzung mit queeren Inhalten drohen seitdem Geld- oder Gefängnisstrafen.

Abstruse Logik: In dem Maß, in dem Kritiker:innen des russischen Einmarschs in die Ukraine kriminalisiert werden, steigt auch die Tabuisierung und Verfolgung Homosexueller. Feindbild Queerness – als seien Heteros von Natur aus obrigkeitshöriger.  

Auch wenn es mit der Absetzung des „Nurejew“-Balletts ein paar Monate gedauert hat, reiht sie sich ein in die Maßnahmen, die seit Jahresbeginn notgedrungen auch in der Literaturszene ergriffen werden. Die Plattform „54 Books“ berichtet, dass aus Buchhandlungen und Bibliotheken immer mehr Titel zu queeren Themen verschwinden. Auch Filme und Online-Medien sind betroffen. Aus der Serie „Sex and the City“ wurden die Wörter „schwul“ und „lesbisch“ herausgeschnitten.

Fragt sich, wann die Zensur nicht nur Gegenwartsstoffe und damit die Lebensrealität vieler Russen trifft, sondern auch Klassiker. Kommen auch Thomas Manns „Tod in Venedig“, Robert Musils „Verwirrungen des Zöglings Törleß“ und Tschaikowskys Werke auf den Index? Der Komponist war offen schwul. Präsident Putin quittierte das 2013 noch mit dem abwiegelnden Satz: „Man sagt, Tschaikowsky war ein Homosexueller. Aber wir lieben ihn nicht deswegen“. Serebrennikows jüngster Film „Tchaikovsky’s Wife“ wird gewiss nicht in Russland laufen. 

In ihrer Kolumne „Mehrwert“ schreibt Christiane Peitz alle zwei Wochen über Menschenrechte, Zensur und Kulturpolitik.

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