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Das Allard Pierson Museum in Amsterdam zeigte 2014 wertvolle Exponate aus einem Museum auf der Krim.

© imago images/epd

Zerstörte Kulturgüter, konfiszierte Kunst: Wem gehört das Gold der Krim?

Der Streit um die 2014 in Amsterdam einbehaltene Ausstellung schwelt weiter. Angesichts der Kulturvernichtung in der Ukraine wird er zum Nebenschauplatz.

Stand:

Goldene Schmuckstücke, vergoldete Schwertscheiden, Juwelen und sogar ein aus China stammendes Lackkästchen bestückten 2013 zusammen mit Hunderten anderer Preziosen aus mehreren Museen der Krim zunächst eine archäologische Ausstellung im Bonner LVR-Landesmuseum, ehe die Schau Anfang 2014 an das Allard Pierson Museum in Amsterdam wechselte. Dort befanden sich die archäologischen Schätze der Krim, als diese von Russland völkerrechtswidrig annektiert wurde. Es war der Beginn eines juristischen Krimis, der noch immer nicht ganz ausgestanden ist.

Die Bedeutung der wertvollen Fundstücke liegt in ihrer herausragenden kulturhistorischen Aussagekraft, illustrieren sie doch die besondere Rolle der Krim als Drehscheibe überregionaler Kulturkontakte und Handelsrouten von der griechischen Kolonisation und der Skythenzeit bis ins Mittelalter. Das Problem: Die leihgebenden Museen waren plötzlich nicht mehr ukrainische, sondern russische, auch wenn die völkerrechtswidrige Annektion der Krim durch Russland von der Weltgemeinschaft bis heute nicht anerkannt wird.

Nach dem Ende der Amsterdamer Ausstellung forderten also zwei Staaten die Objekte zurück, und die Gerichte wurden eingeschaltet. 2016 entschied die erste Instanz, dass die Objekte Teil des nationalen Kulturerbes der Ukraine seien. Die russische Politik schäumte, sollte die Krim doch auf ewig „russische Erde“ sein, folgerichtig die dort entdeckten archäologischen Schätze auf ewig russisches Erbe.

Kulturgüter gehören nie nur einem einzelnen Museum, sondern stets einem souveränen Staat, in dessen Auftrag die Museen die Kulturgüter sachgerecht verwahren.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Nachdem die russische Seite in Berufung gegangen war, entschied kürzlich eine weitere Instanz erneut zugunsten der Ukraine. Während Vladimir Putin von einem klaren Diebstahl sprach und nun das höchste Gericht der Niederlande bemühen will, twitterte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj jubelnd, dass man sich alles Eigene zurückholen werde, zuerst das Gold der Krim und danach die Krim selbst. Eine stärkere Politisierung von Kulturgütern kann man sich kaum vorstellen.

Letztlich dreht sich alles um eine einzige Frage: Steht das Eigentum eines öffentlichen Museums über dem Eigentum des jeweiligen Staates? Doch eigentlich ist die Sache klar: Kulturgüter gehören nie nur einem einzelnen Museum, sondern stets einem souveränen Staat, in dessen Auftrag die Museen die Kulturgüter sachgerecht verwahren.

Zwar haben die Museen der Krim die Leihverträge geschlossen und sind damit rechtmäßige Eigentümer, allerdings haben sie ihre Verträge im Namen des Staates abgeschlossen, und dieser Staat war die Ukraine. Insofern zweifle ich nicht, dass auch das höchste Gericht der Niederlande zugunsten der Ukraine entscheiden wird, und dies völlig unabhängig von der nun schon seit einem Jahr anhaltenden verbrecherischen Aggression Russlands.

Neben diesen harten juristischen Fakten führt Russland gerne auch andere, weiche Argumente ins Feld: Objekte müssten doch in die Museen jener Region zurückkehren können, aus der sie stammten. Und würde die Ukraine endgültig Recht bekommen, so hätte dies eine unzumutbare Trennung jener Preziosen von den übrigen mit ihnen verbundenen Fundstücken und der zugehörigen Dokumentation zur Folge, die in den Museen der Krim verblieben waren.

Blick in Arkhip-Kuindzhi-Museum in Mariupol, nachdem es von einer Bombe getroffen wurde.

© picture alliance/AP

Würde man sich dieser Argumentation anschließen, dann müsste Russland aber auch die am Ende des Zweiten Weltkriegs von sowjetischen Trophäenkommissionen verschleppte Beutekunst endlich an die jeweiligen deutschen Museen zurückgeben, anstatt sie zu russischem Eigentum zu erklären.

Nun können gerade wir Deutsche dabei nicht ausblenden, dass der Plünderung deutscher Museen durch Sowjettruppen der menschenverachtende Angriffskrieg Nazi-Deutschlands gegen die damalige Sowjetunion vorangegangen war, in dem bis zu 27 Millionen Sowjetbürger:innen den Tod fanden. Er war auch ein systematischer Vernichtungsfeldzug gegen Kunst und Kultur mit unfassbaren Verlusten in Russland, Belarus und der Ukraine.

Versöhnungsarbeit heißt auch, gemeinsam zu einem produktiven Umgang mit einer schwierigen Geschichte und den damit verbundenen Verlusten und Verlagerungen von Kulturgütern zu finden. Bis zum 24. Februar 2022 ist uns das zusammen mit unseren russischen Partnermuseen sehr gut gelungen. Wie diese jahrelang schrittweise aufgebaute Zusammenarbeit weitergehen kann, steht in den Sternen. Aber ein solcher Prozess wird – hoffentlich! – eines Tages auch Russland und der Ukraine bevorstehen.

Blick in die Ausstellung „Die Krim: Gold und Geheimnisse des Schwarzen Meeres“ 2014 im Amsterdamer Allard Pierson Museum.

© picture alliance/ANP/Bart Maat

Viel schwerwiegender als der juristische Streit um das Gold der Krim sind nämlich die derzeit von Russland angerichteten Zerstörungen am kulturellen Erbe der Ukraine. Hier kann nicht mehr von Kollateralschäden einer rücksichtslosen Kriegführung gesprochen werden, denn das Ausmaß der Schäden an Museen, Bibliotheken, Archiven, Denkmälern, historischen Gebäuden ist so umfassend, dass man von einem systematischen Angriff auf die Kultur und Geschichte der Ukraine sprechen muss. Die aus dem Museum im besetzten Melitopol verschwundenen goldenen Skythenschätze lassen überdies erahnen, was durch Plünderungen verloren gehen dürfte.

Wird das Tabu, das Kunst und Kultur vor Angriffen schützt, vom Staat selbst gebrochen, richtet sich die Zerstörung nie nur nach außen, sondern immer auch nach innen. Vladimir Putins neues Gesetz zur Stärkung der sittlich-moralischen Werte russischer Tradition öffnet der Denunziation und Diffamierung von Kunstwerken, Künstler:innen und Kunstinstitutionen Tür und Tor, wie Zelfira Tregulova, die Direktorin der berühmten Moskauer Tretjakov-Galerie bereits leidvoll erfahren musste, die kürzlich ihren Posten verlor. Das klingt wie eine Aktion „wider den unrussischen Geist“ und erinnert an unrühmliche Begebenheiten unserer eigenen Geschichte. Dagegen nimmt sich der juristische Streit um den Verbleib des Krim-Goldes wie eine Randnotiz aus.

Der Verfasser ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Archäologe.

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