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Jean-Louis Cohen im Jahr 2009.

© CC BY-SA 4.0, Mandanarch

Zum Tod des Architekten Jean-Louis Cohen: Der Alleswisser

Der französische Architekt und Architekturhistoriker Jean-Louis Cohen ist im Alter von 74 Jahren unerwartet gestorben. Er war auch Mitglied der Berliner Akademie der Künste.

Von Bernhard Schulz

Stand:

Man konnte in Frankreich keinen Ausstellungskatalog, keine Anthologie zu einem Thema der jüngeren Architekturgeschichte aufschlagen, ohne darin einen Beitrag von Jean-Louis Cohen zu finden.

Vielen galt er als Spezialist für das Werk von Le Corbusier, andere, die seine Arbeiten zur sowjetischen Avantgarde verfolgt hatten, ordneten ihn diesem Gebiet zu, und wieder andere sahen in ihm den Kenner seiner Heimatstadt Paris, als der er die Dauerausstellung zur Stadtbaugeschichte im Pavillon de l'Arsenal eingerichtet hatte.

Die Wahrheit ist: Er war all dies – und noch sehr viel mehr. Er besaß eine derart umfassende Kenntnis der Baugeschichte des 20. Jahrhunderts, das er sich mühelos in etlichen Teilbereichen als Spezialist ausweisen konnte.

Spezialist für das Werk von Le Corbusier

Begonnen hatte seine an öffentlicher Wirksamkeit wahrlich nicht arme Laufbahn als Mitarbeiter des heute legendären Ausstellungsvorhabens des Centre Pompidou im Jahr 1979, „Paris – Moscou“. Da war er, im Juli 1949 geboren, gerade einmal 30 Jahre alt, hatte aber bereits mit 24 sein Architekturstudium abgeschlossen und sich fortan der Geschichte seiner Disziplin gewidmet. Nun erschien Aufsatz auf Aufsatz, Buch auf Buch, eine unfassliche Produktivität trug Früchte.

Zahlreiche Gastprofessuren und Forschungsvorhaben kamen hinzu, darunter in Princeton und in New York, ehe er erst 1986 als Professor an der Pariser Universität etwas sesshafter wurde; parallel leitete er den Aufbau des Architekturmuseums „Cité de l'architecture et du patrimoine“, mit dem Paris auch in diesem Bereich an die Spitze trat.

Die Bautätigkeit unter den Diktaturen Europas hielt ihn zeitlebens fest, ihn, der von sich sagte, Résistance und SS wären in den Schulhofspielen seiner Kindheit noch präsent gewesen. Kein Wunder, dass er sich so belasteten Themen wie dem Bau der Lager oder der Architektur des Krieges widmete. Eben dieser weite Blick erlaubte ihm, eine so radikal andere Geschichte des 20. Jahrhunderts zu schreiben wie das 2012 als Frucht langjähriger Lehrtätigkeit erschienene Buch „The Future of Architecture“, die er beziehungsreich im Jahr der Pariser Weltausstellung von 1889 beginnen lässt.

Jean-Louis Cohen war Mitglied in allen nur denkbaren Akademien von Rom bis Moskau, darunter seit 2003 auch der von Berlin. Jetzt ist er im Urlaub kurz nach seinem 74. Geburtstag gestorben; wie es heißt, an einem allergischen Schock nach einem Insektenstich. Wir hätten noch so viel von ihm zu erwarten gehabt.

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