
© dpa/KEYSTONE/Cyril Zingaro(Bearbeitung Tagesspiegel)
Traum und Alptraum der sechziger Jahre: Zum Tod von Beach-Boys-Musiker Brian Wilson
Mit „Pet Sounds“ hat er die Popmusik revolutioniert und eins der unumstrittensten Meisterwerke des Pop geschaffen. Ein Nachruf auf den Beach-Boys-Musiker Brian Wilson.
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Als Brian Wilson vor gut zehn Jahren seine Biografie verfassen ließ, „I am Brian Wilson“, konnte er sich nur noch schwer an die eigentlich größte und produktivste Zeit in seinem Musikerleben erinnern; an eine Zeit in den mittleren sechziger Jahren, als er zum einen eines der umwerfendsten, genialsten Popalben aller Zeiten verantwortete, das 1966 erschienene Beach-Boys-Album „Pet Sounds“. Und er zum anderen mehr und mehr mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte.
„Woran merkt man, dass die Dinge aus dem Ruder laufen? Fing es 1964 an Bord eines Flugzeugs nach Houston an, als ich die Nerven verlor und entschied, nicht länger mit der Band auf Tour gehen zu können?“, fragte er in der Biografie, ohne darauf eine präzise Antwort geben zu können.
Frühe psychische Erkrankung
Und Wilson ließ gleich ein paar mehr, durchaus tief in sein Leben blicken lassende Fragen folgen: „Fing es bereits in den 1940ern an, als ich Prügel von meinem Vater bekam, weil er meine Art nicht mochte? Fing es in den 1970ern mit den Drogen an oder lange davor, bei den ersten Anzeichen der psychischen Krankheit, mit der niemand umzugehen wusste.“
Tatsächlich war es so, dass Brian Wilson bei der Veröffentlichung von „Pet Sounds“ keine Lust mehr verspürte, auf Tour zu gehen, zu sehr hatte er da schon mit Angststörungen und paranoiden Halluzinationen als Symptome einer später diagnostizierten Schizophrenie zu kämpfen.
Dem Album, das ihn auf ewig berühmt machen sollte, das aber gleichermaßen ein Fluch war - ein so frühes Meisterwerk, das in einem Leben nicht ein zweites Mal gelingt -, diesem Album aber hört man die dunklen, problematischen Seiten des zu dieser Zeit 24 Jahre alten Musikers nicht an.
Größer als die Beatles
Es sprudelt über vor Einfällen, vor glückseliger Tiefe, vor Heiterkeit und Harmoniegesängen, und mit seinen zugänglich-verschachtelten Hitkompositionen und den vielen Klangforschungsexperimenten revolutionierte „Pet Sounds“ die Popmusik mehr noch als die zur selben Zeit veröffentlichten Beatles-Alben „Rubber Soul“ und „Revolver“.
Wilson, der pünktlich zum Sommeranfang am 20. Juni 1942 in Inglewood, Kalifornien geboren wurde und am Mittwoch im Alter von 82 Jahren an Demenz starb, wie seine Familie bekanntgab, hatte sich mit „Wouldn`t It Be Nice“, „Sloop John B“, dem umwerfenden „God only knows“ oder dem nicht weniger umwerfenden „Here Today“, um nur ein paar Songs des Albums zu nennen, ganz bewusst an Lennon/McCartney abgearbeitet.
Ihm war klar geworden, dass es sich ausgesurft hatte, dass der Surfsound der Beach Boys in eine Sackgasse geraten war. Zumal Wilson sowieso nicht mehr gewillt war, auf der Bühne Songs wie „Surfin USA“ oder „California Girls“ anzustimmen.
„Surfin USA“, „California Girls“
Mit seinen jüngeren Brüdern Dennis und Carl und ihrem Cousin Mike Love sowie dem Schulfreund Al Jardine hatte Wilson 1961 die Beach Boys gegründet und innerhalb von fünf Jahren sagenhafte zehn Alben, davon sieben offizielle, mit unzähligen Hitsingles aufgenommen.
Den prügelnden Vater allerdings hatte er weiter an seiner Seite, als Manager, und so entwickelte Wilson sich schließlich mit „Pet Sounds“ zu einem Musiker, der lieber im Studio als am Strand saß. Den Sand der Strände ließ er sich lieber nach Hause in sein Wohnzimmer bringen, in einen Sandkasten rund um sein Piano. Die goldenen Sechziger und den „Summer of love“ betrachtete er aus gesicherter Entfernung.
Neuer Versuch mit „Smile“
Dass er solcherart zurück- und auf sich selbst bezogen Probleme mit seinen Brüdern und Bandkollegen bekam, versteht sich, ebenso mit der Plattenfirma. Wilson begegnete dem mit noch intensiverer Studioarbeit und dem Produzieren von „Smile“, zusammen mit dem ähnlich genialischen Van Dyke Parks.
Doch „Smile“ wurde nie fertig, nicht so, wie Wilson es sich vorgestellt hatte. Das Album erschien unter dem Titel „Smiley Smile“ in einer minderen Variante, immerhin mit zwei der besten Beach-Boys-Songs ever, „Heroes and Villains“ und „Good Vibrations“. Jahrelang lagen die „Smile“-Sessions brach, erst von 2004 an wurden sie veröffentlicht.
Wie hat Wilson es in seinen Erinnerungen gesagt: „Der Teil von mir, der sich mit Musik beschäftigte, war sehr viel reifer, als es meinem Alter entsprach.“ Immerhin überstand er auch die siebziger Jahre, die vielen Drogen, die Medikamente, die er wegen seiner Psychosen bekam, die vielen Kilos, die er mit sich herumschleppte: bis zu 160 Kilo betrug sein Gewicht.
1977 spielte er schließlich wieder im Alleingang ein Beach-Boy-Album ein, und es folgten weitere Comeback-Alben in den nachfolgenden Jahrzehnten, ein erstes Soloalbum 1980, das Ende der neunziger Jahre veröffentlichte „Imagination“, und auch 2008 rang er sich mit „That Lucky Old Sun“ ein Konzeptalbum ab. Nur die Magie von „Pet Sounds“ und „Smile“, die guten Vibrationen, die sollte Wilson nie wieder zu fassen bekommen. Ob er das ohne seine psychischen Erkrankungen, ohne den kalifornischen Alptraum, als den er die sechziger Jahre empfand, geschafft hätte? God only knows.
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