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Berliner Schloss, Grundsteinlegung: Zurück auf Anfang

Eine alte Sehnsucht: Am Mittwoch wird der Grundstein für die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses gelegt.

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Schlösser stehen beim touristischen Publikum hoch im Kurs, Burgen beinahe noch mehr. Burgenromantik ist ein Begriff, der sich am ehesten mit deutscher Seele verbindet. Dabei sei nicht einmal an die Märchenburg Neuschwanstein gedacht, die sich ein tragisch geendeter bayerischer König auftürmen ließ. Die spätmittelalterlichen Burgen und Burgruinen am Rhein waren es, an denen sich die Sehnsucht nach Rittern und Burgfräulein im 19. Jahrhundert entzündete.

Karl Friedrich Schinkel, der omnipräsente Chef-Architekt Preußens, stellte auf Geheiß seiner königlichen Auftraggeber das Muster einer Rheinburg hinzu, Burg Stolzenfels bei Koblenz. Die damals bereits seit 150 Jahren verfallende ursprüngliche Burg wurde Ende der 1830er Jahre erheblich ausgebaut.

Auf Schinkels Entwürfe geht auch der Wohnsitz des preußischen Kronprinzen und erst in vorgerücktem Alter zum Regenten aufgestiegenen Wilhelm I. zurück, Schloss Babelsberg, das sich allerdings an den englischen Bauten der Tudor-Zeit des frühen 16. Jahrhunderts orientiert. Der Stammsitz der Hohenzollern hingegen, die gleichnamige Burg in oder besser hoch über Hechingen inmitten des anderweitig regierten Württemberg, wurde erst zwischen 1850 und 1867 vom Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler in königliche Form gebracht.

Mit der historischen Authentizität von Burgen und Schlössern ist es also nicht unbedingt weit her. An der geplanten Wiederherstellung des leider nicht in maßgenauen Bauplänen überlieferten Heidelberger Schlosses, von den Truppen des französischen Königs Ludwig XIV. verwüstet, entzündete sich um 1900 die erste wissenschaftliche Debatte um die Denkmalpflege, die deren Wortführer, der in Straßburg – Münster, Goethe! – lehrende Georg Dehio, mit dem Donnerwort abschloss: „Konservieren, nicht rekonstruieren!“

Dehios dogmatische Jünger – sie beherrschen die heutigen Denkmalsbehörden – laufen Sturm angesichts der mit der Grundsteinlegung am kommenden Mittwoch offiziell beginnenden Rekonstruktion der barocken Fassaden des Berliner Schlosses. Es soll ein neues, in Beton gegossenes Gebäude umschließen, das Humboldt-Forum, wo die ethnologischen Sammlungen der Staatlichen Museen, jetzt noch im Dahlemer Provisorium, ihr neues Domizil finden sollen.

Das vermeintliche Sakrileg ist jedoch geringer, als es die Denkmals-Dogmatik behauptet. Die Rekonstruktion der von Andreas Schlüter kurz vor 1700 geschaffenen und von seinen Nachfolgern entwurfsgetreu verlängerten und verdoppelten Fassaden, denen freilich das legitimierende Gebäudeinnere abgeht, wird nicht Disneyland sein, sondern Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen, insbesondere der Auswertung millimetergenauer Fotografien vor der Zerstörung. Wer je die prachtvollen Aufnahmen bewundert hat, wie sie um 1900 mit großformatigen Plattenkameras angefertigt wurden, wird die Möglichkeit einer originalgetreuen Rekonstruktion bejahen.

Alter Rahmen für einen neuen Inhalt, das Humboldt-Forum

Die Möglichkeit, aus solchen Fotografien mithilfe von Computerprogrammen verzerrungsfreie Ausführungspläne zu generieren, stand früheren Generationen nicht zur Verfügung. Dennoch haben München und der Freistaat Bayern bereits unmittelbar nach Kriegsende beschlossen, die ungleich stärker als das Berliner Schloss zerstörte Münchner Residenz der bayerischen Herzöge und Könige wiederaufzubauen. Dabei entstand mit dem Antiquarium einer der bedeutendsten Renaissancebauten nördlich der Alpen neu, wurde das Rokoko-Juwel des Cuivilliés-Theaters aus praktischen Gründen sogar ein bisschen verschoben.

Im Nordosten Deutschlands herrscht kein so lockeres Verhältnis zur Geschichte. Das Potsdamer Stadtschloss wird nach langem Tauziehen auf- und ausgebaut, als künftiger Sitz des Landtages; auch dies in Beton mit vorgesetzter Sandsteinfassade. Dresden mit seiner anders als in Potsdam geschichtsbewussten Einwohnerschaft hingegen erwartete bereits seit der Spätzeit der DDR den Wiederaufbau der ausgebrannten Residenz, die in den neunziger Jahren in Gang kam und seither beinahe Jahr für Jahr rekonstruierte, veränderte, neu gestaltete Gebäudeteile innerhalb des historischen Ensembles hervorbringt. Die Nutzung als Hauptsitz der Staatlichen Kunstsammlungen, als Museumsschloss der von den Wettiner-Fürsten angehäuften Schätze, steht in Dresden außer Frage.

Die Berliner Schlossdebatten hatten stets weniger das Pragmatische im Sinn, die Reparatur des Stadtbildes zum einen, die geeignete Nutzung des Neu-Altbaus zum anderen, sondern sie gingen ins Politisch-Moralische. Du sollst nicht rekonstruieren, das ist der kategorische Imperativ; eine Art architektonischer Sündenstolz. Peter Kulka, der 1937 in Dresden geborene, bis zur Wende in Köln lebende Architekt der Schlösser sowohl in Potsdam wie in seiner Vaterstadt, betont die Balance zwischen neu und erneuert, wenn er sagt, „dass Teilrekonstruktionen wie in Potsdam und Dresden erst im Zusammenklang mit guter neuer Architektur sinnvoll sind“. Das Potsdamer Landtags-Schloss solle „einen alten Rahmen für einen neuen Inhalt“ schaffen. Genau das wird beim Berliner Schloss der Fall sein: Das Humboldt-Forum ist ein völlig neuer, auch die bisherigen Fachgrenzen innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sprengender Inhalt. Die Fassaden bilden den alten Rahmen, die – um Peter Kulkas Worte auf Berlin zu übertragen – „den Un-Ort endlich wieder in einen erlebbaren städtischen Raum verwandeln“.

Die Rekonstruktion historischer Innenräume des Berliner Schlosses ist nicht vorgesehen, sie ist aber auch nicht ausgeschlossen und an nicht wenigen Stellen auf der Lustgartenseite technisch auch möglich. Innerhalb des kompromisslos zeitgenössischen Humboldt-Forums müssten rekonstruierte Räume als Fremdkörper wirken, ästhetisch wie konzeptionell. Bei den seit dem 19. Jahrhundert aus- und aufgebauten Burgen und Schlössern ist das nicht der Fall. Sie müssen keine Hülle für etwas anderes sein. Sie stellen einfach sich selbst dar und spiegeln die fortdauernde Sehnsucht ihrer Besucher nach etwas, das von Geschichte und Herkunft zeugt.

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