
© Anne Imhof: "Cold Hope" installation view Galerie Buchholz, Berlin 2025, Foto: Galerie Buchholz
Macht trifft Hilflosigkeit: Anne Imhof macht transparent, wie ihre Kunst entsteht
In New York führte die Künstlerin zuletzt eine mehrstündige Performance auf. In der Berliner Galerie Buchholz hängen Skizzen und neue Bilder von Anne Imhof.
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Aus der Ferne wirken die Gemälde wie ein undefinierbares, grau-grünes Flimmern. Erst beim Näherkommen lassen sich zwei Figuren erkennen: Eine zielt auf die andere, letztere hebt die Hände. Macht trifft auf Hilflosigkeit. Dazwischen steht man selbst – nicht als Betrachter, sondern als Fremdkörper in einer Situation, die kurz davor ist, sich gewaltvoll zu entladen.
Dann stellt sich ein Gefühl von Schwindel ein, als würde der Körper auf das nervöse Flackern reagieren. Erst der Blick auf die weißen Wände der Galerie Buchholz bringt das Gleichgewicht zurück. Mit „Cold Hope“ zeigt die Künstlerin Anne Imhof eine Werkgruppe aus Malerei, Skizzen und Soundinstallation und gewährt dabei Einblicke in den Entstehungsprozess ihrer bislang größten Performance „DOOM: House of Hope“.
Visuelle Störungen
Die vier Ölgemälde der Ausstellung beruhen auf Filmstills bekannter Coming-of-Age-Filme wie „My Own Private Idaho“ (1991). Imhof fotografierte sie direkt vom Bildschirm ab, mit all den visuellen Störungen, die dabei entstehen: Moiré-Effekte, Unschärfe, Verpixelung. Diese Bildfragmente wurden anschließend digital bearbeitet und auf Leinwände übertragen. Ein mehrfacher Übersetzungsprozess, bei dem die Motive zunehmend abstrahiert, aber nie ganz ausgelöscht werden. Körper erscheinen, nur um im nächsten Moment wieder zu verschwinden. Gesichter sind angedeutet, dann wieder unkenntlich.
Das Bild „Romeo“ (2025) zitiert das ikonografische Motiv der Pietà, in dem Maria als Schmerzensmutter den Leichnam des toten Jesus Christus hält. Auf einer gräulichen, digital verzerrten Bildfläche übersetzt Imhof die Historienmalerei in zwei schemenhafte Figuren – der eine Körper beugt sich behutsam über den anderen. Wer nun meint, der Pathos der christlichen Ikonografie werde hier durch verpixelte Unschärfe verfälscht, verkennt ihre Bildsprache. Vielmehr verstärkt die daraus entstehende Verschmelzung beider Körper die sakrale Anmutung: Ein gemeinsames Leiden, in dem so etwas wie Hoffnung keimt.
Verlangen nach Nähe
„Cold Hope“ entstand parallel zu Imhofs bislang größter Performance „DOOM – House of Hope“, die vergangenen März in der Park Avenue Armory in New York uraufgeführt wurde. In einer dreistündigen Inszenierung wird die Geschichte von Romeo und Julia rückwärts erzählt. Zwischen Rave-Ekstase und melancholischem Ballett zeigt Imhof eine Jugend, die sich – geplagt von Einsamkeit und dem Verlangen nach Nähe – immer wieder körperlich wie seelisch selbst verletzt.
In Verbindung mit der im zweiten Ausstellungsraum zu hörenden Soundinstallation „Rib of Doom“, in der Tschaikowskys Serenade für Streichorchester mit Textzeilen wie „Ich glaube, ich habe dich in meinem Kopf nur erfunden“ kombiniert wird, setzt sich die melancholische Atmosphäre der Performance fort.
Verletzlichkeit als Kraft
Neben den Gemälden zeigt die Ausstellung auch Zeichnungen, die auf Grundrissen der Park Avenue Armory basieren. Zu sehen sind Skizzen von Bewegungsabläufen, durchgestrichen und mit Rotstift überschrieben – ergänzt durch Begriffe wie „GUN SHOOTING“ oder „FAME“. Was hier sichtbar wird, ist kein Ablaufplan im technischen Sinn: Anne Imhof denkt ihre Performances nicht als starre Bühnenaufführungen, sondern als dynamische Choreografien im Raum.
Dabei gibt sie Stimmungen eine Form – sei es durch die Bewegung eines Körpers, durch Klang oder Bild. Verletzlichkeit erscheint dabei nie als Schwäche, sondern als Ursprung künstlerischer Ausdruckskraft.
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