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Fotografie-Ausstellung: Fritz Eschen und das Berlin der Nachkriegsjahre

"Berlin unterm Notdach" - so heißt die Ausstellung mit Fotografien aus den Jahren 1945 bis 1955 in der Galerie C/O im Postfuhramt. Der Fotograf Fritz Eschen fing alltägliche Momente zwischen Armut, Leid und Leichtigkeit ein.

Das Glück ist unerreichbar und hat zwei Räder, die Felgen in flottem Design fünffach gelocht, die Griffe des Lenkers sauber gedrechselt. Gewiss, die Puppenmöbel sind auch nicht schlecht, aber die Krönung ist und bleibt der Roller. Übrigens ist er aus Holz, und das bedeutete 1947, als er das Prunkstück im Schaufenster eines Wilmersdorfer Spielzeugladens war, noch nicht nostalgieseligen Luxus, vielmehr pure Notwendigkeit angesichts allgemeiner Mängelwirtschaft – wie ohnehin das ausgestellte Sortiment heute überaus spartanisch wirkt. Macht nichts, für die drei Kinder, die von außen sehnsüchtig auf den Roller schauen, ist er das Ziel aller Wünsche, obwohl ihre stillen Blicke deren Vergeblichkeit schon ahnen lassen: Sie werden ihn nie bekommen. Eine typische Aufnahme des Fotografen Fritz Eschen, zu sehen in der ihm gewidmeten Ausstellung der Galerie C/O Berlin: „Berlin unterm Notdach – Fotografien 1945 bis 1955“. Eine Alltagsszene, Dokument des Lebens in der im Elend der ersten Nachkriegsjahre noch gefangenen, aber langsam Hoffnung schöpfenden Stadt, fotografiert von einem, der den Menschen ganz nahe kommt, für sie aber gleichsam unsichtbar zu sein scheint – der Fotograf als nüchterner, sich bewusst auf Distanz haltender Beobachter, dessen Empathie für sein Sujet gleichwohl zu spüren bleibt. Das mag an den Kindern liegen, Eschen sah es allgemeiner: „Ich fotografiere Menschen gern.“

Geboren am 19. Januar 1900 in Berlin, zunächst kaufmännischer Angestellter, arbeitete er ab 1929 als freiberuflicher Bildreporter, „ein Autodidakt und Photoamateur“, wie er bescheiden sagte, aber was für einer. Als „einen der Pioniere des deutschen Bildjournalismus“ rühmt ihn Jens Bove, Leiter der Deutschen Fotothek in Dresden. Eschens erster beruflicher Erfolg wurde 1933 jäh gestoppt: Er war Jude, durch die „privilegierte Mischehe“ mit seiner zweiten Frau zwar halbwegs geschützt, bald aber mit Berufsverbot belegt. Später wurde er zur Zwangsarbeit getrieben, schließlich bei der sogenannten Fabrikaktion am 27. Februar 1943 verhaftet. Wie viele andere kam er ins Sammellager Rosenstraße, wurde jedoch nach Protesten von Angehörigen, auch seiner Frau, wieder entlassen. Seine erste, ebenfalls jüdische Frau wie auch der gemeinsame Sohn wurden in Auschwitz ermordet.

Nach der Kapitulation arbeitete Eschen erneut als Bildreporter, konnte seine Fotos in fast allen Berliner Illustrierten und Zeitungen, darunter auch dem Tagesspiegel, unterbringen, auch wenn deren Lage gerade zur Blockade schon wegen des Papiermangels deprimierend war, wie eines seiner Fotos dokumentiert: Die „werten Leser“, so teilt ein Kioskbetreiber mit, können „hier gratis am Stand die Zeitung lesen, bis ich wieder jedem Kunden seine Zeitung verkaufen kann“. Wenngleich Eschen weiterhin eine deutliche Neigung zum Kulturleben zeigte und ihm etwa von Jean-Paul Sartre, Erich Kästner oder Karl Hofer eindrucksvolle Porträts gelangen – die Glamourreportagen der Vorkriegszeit waren Vergangenheit, abgelöst durch den Alltag in der von Krieg und Nazi-Terror geschundenen Stadt. Noch steht auf der Mauer hinter einer Bank „Für Juden verboten“, noch behindert zerstörtes Kriegsgerät den Verkehr, ist der Tiergarten eine weitgehend baumlose, von frierenden Städtern abgeholzte Steppe – ein noch immer schockierender Kontrast zur heutigen Idylle, den sich der Besucher der Ausstellung durch eine eigens angebotene App mit aktuellen Gegenbildern zu den historischen Fotos besonders deutlich vor Augen führen kann.

Etwa 120 Aufnahmen sind in der Galerie C/O versammelt, ein winziger, doch wohlüberlegter Ausschnitt aus dem Nachlass des Fotografen, der 1973 von seinem Sohn Klaus Eschen, Anwalt und ehemaliger Verfassungsrichter in Berlin, der Deutschen Fotothek übergeben wurde. Der Vater war 1964 während einer Reportagereise gestorben – „ein Meister der ,objektiven’ Kamera, jeder Effekthascherei abhold und stets erfolgreich bemüht, die gewählte Person oder das Thema mit dienender Sachlichkeit und liebevoller Genauigkeit zu behandeln“, wie Günter Matthes ihn im Tagesspiegel würdigte. Auch die Fotos der Ausstellung zeigen Eschen vor allem als scharf beobachtenden Dokumentator des Lebens der Menschen in seiner Heimatstadt: Flüchtlinge, Straßenmusikanten, Kranke in der Charité, Eisenbahner, eine Militärstreife, immer wieder Kinder – das ist das typische Personal seiner Bilder, weniger die Politiker des beginnenden Kalten Krieges. Eschens Fotos wirken nur selten inszeniert, eher spontan, und im Zweifel war ihm Authentizität offenbar wichtiger als absolute Bildschärfe. Gelegentliche Doppelbödigkeit, versteckte Ironie schließt das nicht aus: Zärtlich streicheln die drei Jungen einer Arbeiterfamilie in der Küche ihr Familienkaninchen. Im Hintergrund lauert schon der Herd.

„Fritz Eschen: Berlin unterm Notdach – Fotografien 1945 bis 1955“. Galerie C/O Berlin, Oranienburger Str. 35/36, bis 26. Juni, tägl. 10–20 Uhr. Eintritt 10, erm. 5 Euro. Der Katalog, im Lehmstedt Verlag, Leipzig, erschienen, kostet 24,90 Euro. Ihn und Tickets gibt es auch im Tagesspiegel-Shop, Askanischer Platz 3, Telefon 29 021-520, www.tagesspiegel.de/shop

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