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Meinung: 137 Gründe für Erfolg

Der Bundesrat hat das Zuwanderungsgesetz noch einmal abgelehnt – nun ist die Lösung nahe

Von Robert Birnbaum

Manchmal gibt es Lehrstunden in praktischer Demokratie, die ersetzen staatsbürgerlichen Unterricht. Zum Beispiel gestern im Bundesrat in Sachen Zuwanderung. Die Länderkammer hat, wie nicht anders zu erwarten und lange angekündigt, mit der Mehrheit der unionsgeführten Länder das unverändert neu eingebrachte Zuwanderungsgesetz von SPD und Grünen abgelehnt. Der Bundesrat hat sich in seinem Beschluss aber nicht die lange Liste von 137 Einwänden zu Eigen gemacht, die die Union ebenfalls schon in der vorigen Wahlperiode präsentiert hatte. Dieses Verhalten war so nicht zu erwarten. Es hat seine Ursache aber weniger in einem plötzlichen Anfall von Milde bei CDU/CSU, als in der Auferstehung einer Totgesagten: Die FDP zeigt sich in den Ländern, in denen sie mit der CDU zusammen regiert, plötzlich widerborstig.

Der Vorgang führt noch einmal nüchtern vor Augen, wie die Machtverhältnisse sind. Sie sind auch nach dem Doppelschlag bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen so, dass die Union für sich alleine zwar eine Blockade-, aber höchstens mit der FDP zusammen eine Initiativ- und selbst mit den Liberalen zusammen keine Gestaltungsmehrheit hat. Man wird das noch oft wiederholen müssen, weil es die Geschäftsgrundlage für Einigungsversuche ist.

Der Beschluss vom Freitag ist für all jene in der Union nützlich, die ein Zuwanderungsgesetz nicht für Teufelszeug halten, das man murrend zu erdulden hat, sondern für notwendig. Theoretisch sind das alle, denn so steht es im Parteiprogramm. Praktisch gibt es unterschiedliche Toleranzgrenzen, was CDU und CSU mittragen sollen und was nicht.

Die 137er Liste war die zu Papier gewordene Maximalforderung. Dieses Maximum ist natürlich nicht vom Verhandlungstisch. Aber es liegt eben auch nicht mehr förmlich darauf. Na und, wird mancher sagen. Aber solche scheinbar unbedeutenden Formalien verändern Atmosphären. Niemand muss mehr eine Forderung zurücknehmen, niemand kommt so leicht in die Versuchung, Sieg und Niederlage nach der Zahl der Häkchen auf dieser Liste abzuzählen. Kompromisse sind leichter, wenn sie schwer überschaubar sind – das ist seit langem das Geheimrezept des Vermittlungsausschusses.

Und aus einem zweiten Grund ist die Chance auf Einigung etwas größer geworden. Die FDP, einst beim Staatsbürgerschaftsgesetz als Hebamme tätig, besinnt sich nicht nur ihres taktischen Vorteils, sondern auch ihrer Tradition. Die Bewegung geht von Baden-Württemberg aus. Dessen FDP-Justizministerin hat einen komplizierten Namen, aber einen klaren Kurs: Corinna Werwigk-Hertneck hat sich jüngst beim Dreikönigstreffen als Sachwalterin liberaler Rechtsstaatlichkeit empfohlen. Das Nein der Länder-Liberalen zur Maximalliste enthält darum eine für die Union sehr lehrreiche Warnung. Die Liberalen können keinem rot-grünen Gesetz zur Mehrheit verhelfen. Sie können aber dafür sorgen, dass ein Scheitern allein an der Union hängen bliebe. Das werden sich CDU und CSU zweimal überlegen.

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