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Berliner SPD: Abgehoben im Binnenkosmos
Es gab Zeiten, in denen sich die Berliner SPD keine Sorgen um ihre Machtposition machen musste. Jetzt fehlt es an klaren Kanten und neuen Gesichtern. Ein Wechsel an der Parteispitze scheint unvermeidlich zu sein, meint unser Autor.
Jetzt fliegen schon Eier. Selbst SPD- Funktionäre halten es für möglich, dass die Attacke auf das Haus des Berliner Parteichefs aus den eigenen Reihen kommt. So viel zur Stimmungslage. Das ist die SPD, die sich vor einem halben Jahr als Wahlsieger feierte? Nun wird die Wahl des Vorsitzenden zur Zerreißprobe.
Macht Macht vergesslich oder übermütig? Unvergessen müsste sein, wie sich die SPD einst als Juniorpartner im CDU- Senat mit bitteren Strömungskämpfen um jede Chance brachte. Klaus Wowereit und Landeschef Michael Müller haben dafür gesorgt, dass die SPD seit 2001 den Regierenden Bürgermeister stellt. Aus politischer Dankbarkeit führt Kronprinz Müller nun das Ressort für alle Zukunftsfragen einer wachsenden Metropole wie dem dringend benötigten Wohnungsbau, einem umweltverträglichen Verkehrskonzept, einem ökologischen Stadtumbau oder der Vitalisierung sozial problematischer Kieze. Eine ideale Position für einen künftigen Regierungschef mit allen Möglichkeiten für inspirierende Visionen sozialdemokratischer Großstadtpolitik – und ein Problem für einen SPD-Chef, der in die Koalition eingebunden kein Haudrauf sein darf.
Gerecht geworden ist Müller noch keiner der beiden neuen Rollen. Bisher ist offen, ob vom Amtschef mehr zu erwarten ist, als eine übergroße Verwaltung reibungslos zu führen. Zündende Debatten fehlen noch. Viele reiben sich am engen, frischluftarmen Führungszirkel um Müller und Wowereit, murren über die zu geringe Berücksichtigung des Nachwuchses. Unruhig macht die Partei die Frage, ob Wowereit 2016 wieder antritt. Immerhin zeigte sich im Herbst 2011 überdeutlich, wie abhängig die SPD ist von der Wahllokomotive Wowereit. Die CDU punktet dagegen mit jedem Tag im Senat.
Die neue Union ist die Stigmatisierung los, die Partei des Bankenskandals zu sein, und zeigt, wie man die bessere SPD werden kann. Innensenator Frank Henkel führt nahtlos sozialdemokratische Sicherheitspolitik fort. Auch Sozialsenator Mario Czaja, der Hartz-IV-Empfängern mehr Wohngeld spendiert, und der verbraucherorientierte Justizsenator Thomas Heilmann können glatt als Sozialdemokraten durchgehen. Was die Bundes-SPD an Kanzlerin Angela Merkel verzweifeln lässt, erleben die Genossen nun in der Hauptstadt. Bei Berlins SPD dagegen fehlen klare Kanten und neue Gesichter.
Ein Wechsel an der Parteispitze scheint deshalb unvermeidlich zu sein. In der Koalitionsräson, voll ausgefüllt mit seiner Verwaltung, kann Müller nicht mehr leisten, als eine eingespielte Machtmaschinerie am Laufen zu halten. Das ist zu wenig, um auch nach 2016 stärkste Partei zu sein. Alarmierend ist, dass selbst Wowereit 2011 einen Verlust an Wählerstimmen nicht verhindern konnte – klare Verschleißerscheinungen nach elf Jahren im Amt. Müller wird geprügelt, weil sich noch keiner an Wowereit herantraut. Doch so kraftlos ein Parteichef Müller erscheint, dem viele die Nachfolge Wowereits nicht zutrauen, so schwach sind seine innerparteilichen Gegner.
Kein Genosse lässt bisher das Potenzial erkennen, Wowereit zu beerben oder eine Alternative zu Müller zu werden. Zumal der linke Flügel bei seiner Kampfansage unbeantwortet lässt, wie eine weiter nach links rückende SPD beim Wähler gegen eine sozialdemokratisierte Metropolenpartei CDU bestehen kann. Statt neuer Ideen findet sich ein selbstbezogener Binnenkosmos, statt klarer Alternativen wird gemobbt. Derzeit kann die CDU zuschauen, wie eine selbstvergessene SPD sich selbst schadet.