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Meinung: Auf die Deutschen wetten

Warum sich Schröder und Fischer so schwer tun mit den sozialen Zumutungen

In dieser Woche werden die beiden Regierungsparteien in Klausur gehen. Und diesmal gibt es wirklich Großes zu besprechen. Wenn nicht alles trügt, genauer: wenn Schröder und Fischer die Öffentlichkeit nicht betrügen, dann wollen sie eine grundlegende soziale und ökonomische Wende einleiten. Eine, die sie selbst für unmöglich hielten und ihr Vorgänger Helmut Kohl für unnötig erachtete. Der Sozialstaat soll umgebaut, der Staat insgesamt zurückgebaut werden.

Gesagt wurde das oft, getan wurde ganz wenig. Doch jetzt endlich soll es vollzogen werden – unter den denkbar schlechtesten Bedingungen: Die Weltkonjunktur lahmt, der Staat steht in allen denkbaren Dimensionen im Soll, die Kosten der Einheit sind noch nicht abgetragen, der demographische Wandel fängt an, immer höhere Kosten zu verursachen und die Globalisierung stürmt unvermindert in die gute deutsche Stube.

All die Sozialreformen, die jetzt anstehen, laufen darauf hinaus, dass der Einzelne mehr bezahlen muss: Rentenbeiträge plus (noch mehr) Riesterrente, Krankenversicherung plus Zuzahlung, Steuererhöhung plus Abbau von Steuersubventionen, nicht zuletzt, für die Ärmeren: weniger Sozialhilfe, weniger Arbeitslosenhilfe, weniger Arbeitslosengeld. Kurzum: Sozialabbau auf breiter Front.

Das alles ist unausweichlich, es verspricht auch Freiheitsgewinne und es kann sich mittelfristig so auszahlen, dass Deutschland seinen Rang als führende, reiche Industrienation einigermaßen verteidigt. Dennoch stellt diese Wende in widriger Zeit ein ungeheures politisches Wagnis dar. Ein historisches: Denn der ausufernde Sozialstaat, die Subventionitis und der zur Blockade gewordene Konsenszwang haben tiefe historische Ursachen. Sie sind der antifaschistische Schutzwall der Bundesrepublik. Soziale Sicherheit, das ständige Einbinden Aller bei Allem, das Steuern sozialer Prozesse durch Steuern und Subventionen, das ganze, große Auswattieren des Lebens, dienten dazu, den demokratisch stets gefährlichen, gefährdeten deutschen Menschen davon abzuhalten, wieder auszurasten. Wer keinen Hunger hat, macht keine Aufstände: lückenlose Sozialhilfe. Wer ein Häuschen besitzt, macht keine Revolution: Eigenheimzulage. Wer eingebunden ist, geht nicht in den Untergrund: Verbändestaat, Föderalismus, Deutschland-WG.

In den Anfängen der Republik waren diese Maßnahmen für einen demokratischen Rekonvaleszenten auch angemessen. Doch wurde bis in die späten 90er-Jahre – von der Linken offen, von den Konservativen eher insgeheim – vertreten, dass der Sozialstaat wachsen müsse, damit die demokratische Façon gesichert sei. Oskar Lafontaine hat so geredet, aber auch Joschka Fischer, der sich bis heute schwer tut mit dem harten Reformieren und Deregulieren, weil er Sozialpolitik oder sozialdemokratische Politik auch noch als präventiven Antifaschismus versteht.

Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, nicht zu vergessen bei der deutschen Einheit war die Linke von der Vorstellung geprägt, die Deutschen könnten jederzeit rückfällig werden, wenn erst die kritische Masse (Wiedervereinigung) erreicht sei, oder Deutsche in den Krieg zögen (Auslandseinsätze). Doch haben sie ihr Misstrauen gegen das Deutsche in den Deutschen hier überwunden, als sie selbst an die Macht kamen. Mit der Einheit haben sie sich versöhnt und sie schickten deutsche Soldaten in den Kosovo.

Nur beim Sozialen, beim Wohlfahrts- und Konsensstaat sind die herrschenden 68er immer noch sehr zögerlich, die Wette auf den mündigen Bürger einzugehen. Wewegen Schröder und Fischer so sträflich spät mit der großen Wende beginnen. Wenn sie denn beginnen und nicht aus Angst vor sozialen Verwerfungen, einem deutschen Haider oder den je nächsten Landtagswahlen das große Reformieren wieder einstellen, bevor sie es noch richtig begonnen haben.

Die Mehrheitsdeutschen, das waren für die Linken dieser Generation immer die anderen, die gefährdeten, die Leute, die man nur durch ständige fürsorgliche Belagerung in Schach halten konnte. Die Wende muss also in den Köpfen beginnen, zuerst in denen zweier Herren, die 1968 mal jung waren.

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