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Berlin bewirbt sich für die Olympischen Sommerspiele: Wer weiß schon, wie die Welt in 19 Jahren aussieht?
Olympia 2044 – dafür zu planen, grenzt an Hybris. Es mag Spaß machen und inspirieren, Kräfte freisetzen und Illusionen fördern, doch der Faktor Zeit verlangt vor allem Demut.

Stand:
Berlin bewirbt sich für die Olympischen Spiele. Bis 2032 sind sie bereits vergeben. Folglich nahm man 2036 in den Blick, inzwischen sind es eher die Jahre 2040 und 2044, heißt es beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Wie bitte? 2044 – das ist in 19 Jahren, da bin ich 84.
Keiner weiß, was dann sein wird. Hätte man 1929 für ein Ereignis im Jahr 1948 geplant – also vor der Machtergreifung der Nazis für nach dem Zweiten Weltkrieg –, wäre die gesamte Planung Makulatur. Und geplant werden muss ja bereits bei einer Bewerbung.
Hätte man 1979 für 1998 geplant – also mitten im Kalten Krieg für nach dem Mauerfall –, hätte man ebenfalls die gesamte Planung wegschmeißen können. Oder 1989 für 2008 – also vor dem 11. September 2001 für die Zeit mitten in die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hinein? Sinnlos, komplett sinnlos.
Was wird 2044 sein? Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen entstand am Theater in Aachen das Stück „2044 – Chronik einer verlorenen Zukunft“. Es basiert auf einem Podcast und schildert eine Dystopie. Die „Nationale Allianz für Deutschland“ (NAfD) ist an der Macht und hat im Land ein autoritäres Regime errichtet. Möglich, oder? Und Olympia gäbe es dann quasi gratis, auf dem silbernen Tablett serviert.
Natürlich kann es auch anders kommen. Die Babyboomer sind in Rente, die Rentenkasse ist geplündert, gearbeitet wird bis 75, Altersarmut grassiert. Die Künstliche Intelligenz (KI) ist in alle Bereiche des Lebens eingedrungen, von der Pflege bis zur Medizin. Depressionen und Stresssymptome werden von Gesprächsrobotern behandelt.
Auf dem Spielfeld pfeifen KI-Schiedsrichter
Längst wird die KI auch im Sport verwendet, als Schiedsrichter auf dem Platz und bei der Punktevergabe in der Gymnastik. All das geschieht im Namen der Objektivität. Der Datenschutz ist passé.
2044 – die Schwelle zur zwei Grad Erwärmung ist da längst überschritten. Die Sommer sind heißer, feuchter und schwüler. Naturkatastrophen häufen sich. Die Sonneneinstrahlung ist lang und intensiv. Überschwemmungen, Dürren, Gletscherabgänge und Waldbrände: Das ganze Programm, nur Jahr für Jahr mehr davon.
Die Zukunft ist zuverlässig unberechenbar
Oder es passiert etwas, womit niemand gerechnet hatte, wie der Fall der Mauer oder 9/11 oder ein russischer Überfall auf ein Nachbarland oder eine globale Finanzkrise. Prognosen und Prophezeiungen haben Konjunktur. Aber die Zukunft erweist sich als zuverlässig unberechenbar.
Die Geschichte lehrt Bescheidenheit vor Irrungen und Wirrungen, Unvorhergesehenem und Unvorhersehbarem.
Malte Lehming
Wie war das noch? „Die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation“, schrieb Karl Marx. Darauf warten viele bis heute.
Der britische Ökonom Thomas Malthus prophezeite, dass die Nahrungsmittelproduktion mit der Bevölkerungsexplosion nicht werde Schritt halten können. Das darf zum Glück als zumindest ungesichert gelten. Der weise Philosoph Karl Popper verspottete derartige Prognosen als „orakelnde Philosophie“.
Olympia 2044 – dafür zu planen, grenzt an Hybris. Aber ohne Planung keine Bewerbung. Es mag Spaß machen und inspirieren, Kräfte freisetzen und Illusionen fördern, doch der Faktor Zeit verlangt auch Demut. Die Geschichte lehrt Bescheidenheit vor Irrungen und Wirrungen, Unvorhergesehenem und Unvorhersehbarem. Vielleicht werde ich die Spiele vom Rollator aus verfolgen.
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