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Klimaaktivisten auf der Straße.

© Reuters/“Letzte Generation“/Handout

Klimaschutz und Demokratie sind kein Gegensatz: Wer weist der „Letzten Generation“ einen anderen Weg?

Wer auf die Katastrophe fixiert ist, tendiert zur Resignation, zum Zynismus – oder eben zur Radikalität. Dabei geht es auch anders.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Kein vernünftiger Mensch kann die Taten radikaler Klimaaktivisten gutheißen. Wer das Gewaltmonopol des Staates, demokratische Prozesse und rechtsstaatliche Prinzipien verteidigt, muss Autobahn-Blockaden, Bilderstürmerei, Farbanschläge und – ganz aktuell – Eingriffe in den Flugverkehr verurteilen.

Ruhig und entschieden. Überflüssig sind Wutschnauberei, Lynchgelüste und Strafrechtsverschärfungen. Es reicht der Hinweis auf die verfassungsrechtlich verankerte freiheitlich demokratische Grundordnung. Aus Apokalypse-Angst entsteht nun mal kein Widerstandsrecht.

Am Kern der Sache vorbei geht der Einwand, die Aktivisten der „Letzten Generation“ seien gesellschaftlich isoliert und ihre Handlungen kontraproduktiv. Der Extremismus schrecke ab und diskreditiere das an sich löbliche Anliegen.

Was wäre denn, wenn es anders wäre? Wenn auf Militanz beifälliges Kopfnicken folgte? Nein, weder Erfolg noch Misserfolg können kriminelle Handlungen legitimieren. Ohnehin dürfte der Einfluss der Aktivisten auf die politische Stimmung gering sein. Wer sich für den Klimaschutz einsetzt, tut das weiterhin. Wem die globale Erderwärmung egal ist, kultiviert unverdrossen seine Ignoranz.

Doch so dringend es ist, sich vom widerrechtlichen Teil der spektakulären Inszenierungen zu distanzieren, so notwendig ist es, in ihnen auch die Konsequenz gefährlicher antidemokratischer Einstellungen zu sehen.

Innerhalb der Klimaschutz-Bewegung hat sich eine Ideologie des „Zu wenig und zu spät“ etabliert. Angesichts des Ausmaßes der drohenden Katastrophe wird das politische Machbare im Namen des Notwendigen verspottet. Klimarealismus müsse radikal sein, heißt es, weil das Unheil von einer derart großen Dimension sei, dass bei der Wahl der Mittel ein außerparlamentarisches Notwehrrecht greife.

Wer auf die Katastrophe fixiert ist, tendiert zur Resignation, zum Zynismus – oder eben zur Radikalität

Damit wird das Wesen demokratischer Politik – jedes Alles-oder-nichts in ein Mehr-oder-weniger zu verwandeln – außer Kraft gesetzt. Verhandlungen, Zugeständnisse und Kompromisse führen in dieser Lesart schnurstracks in das globale Elend. Wer auf dessen Ausmaß fixiert ist, tendiert zur Resignation, zum Zynismus – oder eben zur Radikalität.

Wer weist den Vertretern der „Letzten Generation“ einen anderen Weg? Dafür, dass die Klimaschutz-Debatte nicht einhergeht mit einer Verachtung parlamentarischer Prozesse, sind in erster Linie die Grünen verantwortlich. Die radikalen Klimaaktivisten sind Fleisch von ihrem Fleisch. Diese Nähe zwingt zu einer Betonung der Gegensätze.

Was es heißt, in Regierungsverantwortung Kompromisse schließen zu müssen, haben die Grünen leidvoll erfahren – sie stimmten für verlängerte Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken und für den Import von Fracking-Gas aus den USA. Das hatte eine Ursache, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, gefolgt von Energie-Import-Sanktionen. Erteilt wurde den Grünen eine Lektion in Sachen ökologischer Realismus.

Atomkraft, ja oder nein?

Einen ähnlichen Reifungsprozess muss die „Letzte Generation“ durchlaufen. Wie soll’s denn gehen im Kampf gegen die globale Erderwärmung? Atomkraft, ja oder nein? Windräder, auch in der unmittelbaren Umgebung bewohnter Häuser? Stromtrassen, für die Wälder gerodet werden? Grüne Gentechnik, um Getreide einerseits unempfindlicher zu machen gegen Trockenheit und Überflutung, andererseits ertragreicher und gehaltvoller?

Das sind Fragen, vor deren Beantwortung sich niemand drücken sollte, dem es ernst ist mit dem Klimaschutz. Polit-Happenings, untermalt mit plakativen Parolen, wirken dagegen anti-aufklärerisch. Die erhofften Schockeffekte ersticken jede inhaltliche Debatte.

Soll die Klimakrise mit herkömmlichen parlamentarischen Mitteln bewältigt werden? Wer diese Frage verneint, nährt die Zu-wenig-und-zu-spät-Ideologie. Radikalen Taten gehen radikale Gedanken voraus. Klimaradikalität als Klimarealismus umzudefinieren, unterhöhlt die Fundamente der Demokratie.

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