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Meinung: Chaostruppe

Die Industrie erweist sich auch beim Emissionshandel nicht als vertrauenswürdiger Partner

Wer hat die Macht im Staat? Die Regierung oder die Wirtschaft? Die Meinungen darüber sind geteilt. Aus Sicht der deutschen Industrie scheint die Frage geklärt zu sein – zu ihren Gunsten. Die Regierung Schröder ist von Anfang an freundlich mit der Wirtschaft umgegangen. Anstatt ihr Vorschriften in Form von Gesetzen zu machen, hat sich die rot-grüne Regierung mehrfach auf deren Selbstregulierungskräfte verlassen, so wie das ihre Vorgängerregierung auch schon getan hatte. Nur hat die Regierung Schröder nichts davon, wie sich jetzt beim Emissionshandel abermals bestätigt.

Die Erfahrung, dass Rücksichtnahme nicht belohnt wird, musste die Bundesregierung schon bei der Mehrwegquote machen. Getränkeindustrie und Handel hatten zugesagt, mindestens 72 Prozent aller Getränke in Mehrwegflaschen abzufüllen; deshalb verzichtete die schwarz-gelbe Regierung zunächst darauf, ein Dosenpfand zu erheben. Sollte die Wirtschaft die Quote mehrfach verfehlen, würde es eingeführt. Nachdem Industrie und Handel die Mehrwegquote jahrelang nicht eingehalten hatten, versuchten sie das Dosenpfand durch immer neue Klagen aufzuhalten. Vergeblich. Der eigentliche Fehler von Rot-Grün jedoch war nicht, darauf zu bestehen, dass Gesetze eingehalten werden, sondern die großzügige Übergangsregelung für den Handel. Erst die Auflage, Dosen nur da zurückzugeben, wo sie gekauft worden waren, machte aus dem Dosenpfand ein Dosenchaos. Am Ende gab es keine Sieger mehr. Als der Umweltminister das Pfand einführte, war die Schuldfrage eindeutig: Die Industrie hatte das selbst verschuldet. Nach einem halben Jahr kippte die Stimmung: Das Dosenchaos wurde der Regierung angelastet.

Dass die Industrie mitunter kein vertrauenswürdiger Partner ist, muss gerade der Verkehrsminister schmerzlich erfahren. Das Konsortium Toll Collect, an dem die Creme der deutschen Wirtschaft beteiligt ist – Daimler-Chrysler und die Deutsche Telekom – ist auch nach monatelangen Versuchen nicht in der Lage, die Lkw-Maut einzuziehen. Dabei sind Verträge doch ein Pfeiler der kapitalistischen Wirtschaft. Was ist von Unternehmen zu halten, die Verträge nicht erfüllt?

Drittes Beispiel: Klimaschutz. Die deutsche Industrie hatte in einer freiwilligen Selbstverpflichtung zugesagt, den Ausstoß des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid (CO2) bis 2005 um 20 Millionen Tonnen zu vermindern und bis 2010 sogar um 45 Millionen Tonnen. Doch als der Umweltminister die Industrie bei der Umsetzung des europaweit geplanten Emissionshandels beim Wort nehmen wollte, mochte sich niemand mehr daran erinnern. Die Industrie hat ihren CO2- Ausstoß von 2000 bis 2002 sogar erhöht. Und auf verbindliche Begrenzungen des Klimakillers will sie sich nicht einlassen. Das Muster ist bekannt: Erst wird eine Selbstverpflichtung gebrochen, dann das Gesetz ignoriert und am Ende geklagt, bis Chaos entsteht. An dem ist dann angeblich die Regierung Schuld.

Beim Emissionshandel ist es allerdings möglich, dass die Industrie die Kräfteverhältnisse falsch einschätzt. Denn der Handel mit CO2-Berechtigungen kommt auf jeden Fall. Er ist bereits Gesetz in der Europäischen Union. Und diesmal können die Regierungschefs die fälligen Strafgebühren, wenn sie das Gesetz brechen, nicht selbst wegdiskutieren wie beim Stabilitätspakt. Wer die Klimavorgaben der EU nicht einhält, bekommt die Strafgebühren von der Kommission aufgebrummt. Machtproben mit der Kommission können teuer werden – selbst für eine deutsche Industrie, die offenbar denkt, auch diesmal am längeren Hebel zu sitzen.

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