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Meinung: Das Gasrohr ist kein Witz

Die Pipeline belastet die fragile russisch-polnische Beziehung Von Andrzej Stach

Neben dem Ziegelstein, mit dem man ein Opfer bedroht, um an dessen Wertsachen zu kommen, existiert in polnischen Witzen für diesen Zweck auch das Gasrohr. Die Bedrohten haben da wenig Grund zu lachen – so wie jetzt Polen, das sich von „Russlands Gasrohr“ in der Ostsee bedroht fühlt. Zu verlieren hätte das Land beim Nachgeben keine materiellen Werte, wohl aber große Stücke Souveränität und die unter Opfern erkämpfte politische Unabhängigkeit von Moskau.

Nach dem Sieg von Solidarnosc, der Polen endgültig aus der sowjetischen Hegemonie befreite, beobachtete man im Kreml mit Argwohn das polnische Streben nach der Anbindung an den Westen, die offene proamerikanische Politik Warschaus und den Nato- und EU-Beitritt Polens. Das Fass zum Überlaufen brachte die aktive und von Erfolg gekrönte Unterstützung der orangefarbenen Revolution in der Ukraine durch polnische Politiker. Immer wieder kritisiert werden in Polen auch der russische Krieg in Tschetschenien und die undemokratischen Tendenzen im heutigen Russland. Während man in Deutschland von Verstößen gegen die Menschenrechte und Demokratie in Russland immer mehr absieht, pflegt man in Polen gute Kontakte zu russischen Menschenrechtlern.

Am 4. November vorigen Jahres beging man in Russland zum ersten Mal den „Tag der Volkseinheit“. Er soll den Revolutionstag am 7. November ersetzen und die Russen an die Befreiung Moskaus von polnischer Herrschaft im Jahre 1612 erinnern. Mitte November verhängte Moskau den Einfuhrstopp für polnische Fleisch- und Pflanzenprodukte. Offizieller Grund: die Nichteinhaltung von sanitären Vorschriften durch polnische Exporteure. Ihrerseits vermuten die Warschauer Politiker darin eine politische Absicht, Polen für seine Moskau nicht genehme Politik zu bestrafen. In diesem Zusammenhang sehen sie auch die Pläne für den Bau einer Gaspipeline durch die Ostsee. Fest steht, die polnisch-russischen Beziehungen sind zurzeit nicht die besten.

Unterhalb der offiziellen Beziehungen gestaltet sich die polnisch-russische Zusammenarbeit auf der zwischenmenschlichen Ebene aber recht gut. Hunderttausende russische Bürgerinnen und Bürger bevölkern die grenznahen Städte in Polen. Sie verkaufen dort mitgebrachten Waren und kaufen selbst viel ein. Einer großen Beliebtheit erfreuen sich bei reicheren Russen polnische Kurorte und polnische Städte wie Krakau oder Danzig. Die meisten Russen haben laut Umfragen eine gute Meinung von ihren Nachbarn.

Umgekehrt genießt Russisch als Fremdsprache gegenwärtig eine unerwartet große Popularität an den polnischen Hochschulen. Trotz der schwierigen Vergangenheit, bei denen der Ort Katyn nur für eines der vielen sowjetischen Verbrechen an den Polen steht, finden dort so gut wie keine Schändungen sowjetischer Friedhöfe oder Übergriffe gegen russische Einrichtungen statt.

Nichtsdestotrotz leiden Russlands Ansehen und Popularität in Polen wegen der Politik von Wladimir Putin. Im Mai 2005 nannten 51 Prozent der Befragten Russland an erster Stelle als ein Land, vor dem sich Polen fürchten sollte. Und im Dezember zeigten 61 Prozent keine Sympathie für die Russen. Wie ein Memento klangen vor diesem Hintergrund die Ratschläge des scheidenden Präsidenten Aleksander Kwasniewski an seinen Nachfolger Lech Kaczynski, mit Russland eine Gesprächsplattform ohne Vorbedingungen zu suchen und eine Aussöhnung auch mit Deutschland zu betreiben. Dass dies unter den „ normalen“ Menschen gelingen kann, beweist auf seine Art und Weise der seit 1976 in Polen lebende Professor der Jagielloner-Universität in Krakau, Aloscha Awdiejew. Seine große Beliebtheit und Popularität bescherten ihm vor allem Auftritte als Chansonier und Kabarettist. Mit Charme und Humor greift er viele heikle Themen aus der polnisch-russischen Vergangenheit und Gegenwart auf und weist auf Ähnlichkeiten und Verbindendes zwischen beiden Völkern hin. „Nach dem fünften oder sechsten Glas Wodka beginnt ein durchschnittlicher Pole ohne irgendwelchen Zwang freudig auf Russisch zu singen“, stellte der Sprachwissenschaftler einmal fest. Ob dies eine Verbesserung der Beziehungen zwischen dem abstinenten Putin und dem eher asketisch wirkenden Kaczynski erleichtern kann, bleibt fraglich.

Der Autor ist Publizist und Journalist in Berlin.

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