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AfD-Demo vor dem Kölner Dom.

© AFP

Europaskeptiker: Der Aufstieg der AfD und die Kapitulation einer Idee

Chaotische Debatten, Ränkespiele, Extremisten: Vieles an der AfD erinnert an die Anfänge der Grünen, analysiert Christoph Seils. Doch ihren Erfolg sieht er als Folge eines gesellschaftlichen Phänomens.

In vier Wochen ist Europawahl. Na und? So ist die Stimmung im Lande und es spricht wenig dafür, dass sich daran in einem lauen Wahlkampf noch etwas ändern wird. Grund genug gäbe es. Die Eurokrise ist längst noch nicht überwunden, Griechenland nicht gerettet. Die Gefahr einer Spaltung Europas in einen reichen Norden und einen armen Süden ist längst real. Am Rande der EU droht gar ein Bürgerkrieg, der völkische Nationalismus erlebt mitten in Europa eine Renaissance. In der EU schüren derweil längst nicht mehr nur die Populisten von links und rechts anti-europäische Ressentiments. Auch die CSU kann der Versuchung nicht widerstehen und die CDU lässt sie gewähren. Die sozialdemokratische Idee eines europäischen Spitzenkandidaten hingegen entpuppt sich mehr und mehr als eine Farce, die niemanden überzeugt und mobilisiert.

Es könnte also sein, dass dieser Europawahlkampf eine Zäsur darstellt. Europa ist einerseits so alltäglich geworden, dass die Menschen darüber gar nicht mehr nachdenken. Die gemeinsame Kultur und die Champions League, der Währungsraum und die fehlenden Zollschranken, das Erasmusprogramm für Studenten und die Agrar-Subventionen für Bauern gelten mittlerweile als völlig selbstverständlich.

Andererseits ist das Europa-Bashing längst in den Eliten angekommen. Es gehört in Deutschland mittlerweile auch jenseits der Stammtische zum guten Ton, auf Brüssel zu schimpfen. Ein engstirniger Wohlstandschauvinismus ist auf dem Vormarsch, während europäische Solidarität zum Fremdwort wird. Dass Europa in Deutschland noch Mainstream sei, davon kann keine Rede sein.

Europa, nein danke – AfD erinnert an die Grünen

Ein Katalysator dieser Entwicklung ist die Partei Alternative für Deutschland. Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Europakritiker prägt mittlerweile die europäischen Diskurse und beeinflusst die Politik in Berlin.

Viel erinnert bei der AfD dabei an die Anfänge der Grünen. Auch die Grünen prägten in den Anfangsjahren chaotische innerparteiliche Debatten, personelle Ränkespiele und der Versuch von Extremisten, die junge Partei zu unterwandern. Gleichzeitig hat die AfD wie einst die Grünen ein intellektuelles und professorales Umfeld, das die Bewegung trägt. Es haben sich in der Partei eine Reihe von erfahrenen Politikprofis zusammengefunden, die eine politische Bewegung organisieren können. Dazu kommen mit Europa und mit der Einwanderung zwei Themen, an denen die etablierten Parteien nicht mobilisierungsfähig sind sowie ein Milieu, dass die Eliten nicht mehr erreichen.

Die heimliche AfD-Parole „Europa, nein danke“ klingt dabei ähnlich wie der Ökoklassiker „Atomkraft, nein danke“, an die Stelle der Angst vor dem Atomtod ist die Angst vor der Inflation getreten. Und wie einst bei den Grünen gehören auch bei den Anhängern der AfD Tiraden gegen die Lügenpresse und die staatliche Nachrichtensperre zum guten Ton. Schließlich lässt sich die Rolle, die der Volkswirtschaftsprofessor Bernd Lucke als Frontmann der AfD spielt, zwar nicht habituell aber strategisch durchaus mit jener vergleichen, die einst die erste grüne Ikone Petra Kelly für die Ökopartei spielte. Auch Lucke steht unangefochten über den vielen Querelen seiner Partei, er wirkt politisch und moralisch absolut Integer, was man von manchen seiner Parteifreunde nicht behaupten kann.

Der deutsche Europa-Pessimismus

Im Kampf um die kulturelle Hegemonie im Lande hat die AfD mehr erreicht, als es jene 6 bis 8 Prozent aussagen, mit denen die Partei bei der Europawahl am 25. März rechnen kann. In den Köpfen sehr vieler Deutscher hat sich mittlerweile ein hartnäckiger Europa-Pessimismus festgesetzt. Es wird nur noch über die Probleme diskutiert, die Brüssel den Menschen bereitet und die es ohne Zweifel gibt. Die CDU mit Kanzlerin Merkel an der Spitze setzt zudem immer weniger auf Brüssel, stattdessen immer mehr auf direkte Absprachen zwischen den europäischen Hauptstädten. Auch das untergräbt schleichend die europäische Integration.

Die Chancen, die Europa bietet und die für den Kontinent eine Überlebensfrage sind, traut sich hingegen kaum noch jemand offensiv zu propagieren. Worte wie Wirtschaftsunion, Energieunion, Demokratieunion oder europäischer Föderalismus sind Schlagworte geworden, die keine politische Strahlkraft mehr haben. Dass in der Ukraine der Krieg nach Europa zurückkehren könnte, wird achselzuckend hingenommen. Wie Russland die EU dabei nach Belieben machtpolitisch vorführt, wird gerade im eurokritischen Milieu sogar still und heimlich bewundert.

Zugleich werden die Anhänger der Vereinigten Staaten von Europa hierzulande mittlerweile genauso belächelt, wie die Befürworter der Atomkraft oder die eines überwachungsfreien Internets. Eine Idee hat kapituliert.

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