Meinung: Der Lauf der eigenen Waffen
Die USA üben im Fall Syrien Zurückhaltung – aus Sorge vor dem nächsten Despoten
Stand:
Die Euphorie über den Arabischen Frühling ist verflogen. Die Hoffnung auf Ausbreitung von Freiheit und Demokratie muss sorgfältig abgewogen werden gegen das Risiko, dass die Falschen als Sieger aus den Umbrüchen hervorgehen. Welten liegen zwischen den friedlichen Revolutionen 1989 in Ostmitteleuropa und den tumultösen, blutigen Erschütterungen in Arabien 2012.
Entsprechend vorsichtig agieren die USA in Syrien. Sie erkennen das Oppositionsbündnis nach längerem Zögern als eine legitime Vertretung des syrischen Volkes an – nicht als die (einzige) legitime Repräsentanz. Präsident Obama sagt zugleich, das Assad-Regime müsse abtreten. Seine Unterstützung der Opposition beschränkt sich jedoch auf humanitäre Hilfe und Kommunikationstechnik. Waffenlieferungen oder eine militärische Intervention zur Beschleunigung des Machtwechsels wie in Libyen lehnt er ab. Die USA stufen manche Milizen unter dem Dach der Opposition als Terrororganisationen ein, unter anderem weil sie Anschläge auf Zivilisten verüben.
Seit Obamas idealistischer Rede 2009 in Kairo ist Ernüchterung eingekehrt. Selbst dort, wo der Sturz der alten Regimes ohne langen Bürgerkrieg gelang wie in Tunesien und Ägypten, werden die demokratischen Spielregeln nicht respektiert. Minderheitenschutz und Rechtsstaat sind ferne Hoffnungen geblieben.
Der Westen steckt in einem Dilemma. Darf man einer Volksbewegung gegen eine Diktatur die Hilfe verweigern? Oder muss man zumindest Waffenlieferungen unterlassen, wenn die Gefahr steigt, dass diese Waffen in falsche Hände geraten und sich später gegen die gutwilligen Lieferanten richten?
In Libyen hat sich dieses Risiko ganz konkret gezeigt. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, und vielleicht wird man die Frage nie mit letzter Sicherheit klären können. Es ist aber möglich, dass der Anschlag auf das US-Konsulat Bengasi am 11. September, bei dem Botschafter Chris Stevens und drei weitere US-Diplomaten starben, mit Waffen verübt wurde, die mit US-Hilfe über Katar an die Rebellen geliefert worden waren, die Gaddafi bekämpften.
Radikale Islamisten spielen in fast allen Oppositionsbündnissen in Arabien eine Rolle. Deshalb zögern die USA mit Waffenlieferungen und beobachten Verbündete wie Katar und Saudi-Arabien, die weniger Zurückhaltung an den Tag legen, mit Misstrauen.
Die USA haben in Afghanistan, im Irak und in Ägypten gelernt, dass ihre Macht und ihr Einfluss ausreichen, um beim Sturz der Diktaturen zu helfen, nicht aber, um den gewünschten Ausgang der Machtwechsel zu erzwingen: eine Gesellschaft, die Demokratie, Frauen- und Minderheitenrechte respektiert. Die alten Regime stützten sich meist auf eine Minderheit, die die Mehrheit und andere Minderheiten über Jahre blutig unterdrückte – in Saddams Irak die Sunniten gegen Schiiten und Kurden, in Assads Syrien die Aleviten gegen die übrige Bevölkerung. Nach dem Sturz sinnen viele auf Rache.
In Syrien können zudem nicht nur Gewehre, sondern auch Chemiewaffen in falsche Hände geraten. Eindämmung und die Verhinderung einer Katastrophe wird da ein wichtigeres – und realistischeres – Ziel, als der Versuch, einer Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen, die womöglich nur dem nächsten Despoten zur Macht verhilft.
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