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Dass Hitler ihn mochte, dafür kann Wagner nichts.

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Richard Wagner und der Antisemitismus: Der Unterschied zwischen Schöpfer und Werk

Bis heute wird Richard Wagner für seine Musik gefeiert - und verurteilt für seinen Judenhass. Doch zu den Errungenschaften der Demokratie gehört auch die Erkenntnis, zwischen Schöpfer und Werk unterscheiden zu können.

Er lässt niemanden kalt. Richard Wagner, vor 200 Jahren geboren, ist Kult – und entfacht Skandal, bis heute. Der Musikkünstler Daniel Barenboim wirbt weiterhin darum, dass Wagner auch in Israel gespielt werden möge. Der Komponist, ein Kind des 19. Jahrhunderts, hat gegen Juden gehetzt. Aber, sagt Barenboim, Wagners Musik ist nicht antisemitisch.

Trotzdem hat jüngst ein Regisseur in Düsseldorf den „Tannhäuser“ statt mit dem Venusberg mit einer Gaskammer assoziiert und den Minnesänger Tannhäuser zum Judenmörder gemacht. Nach der Premierenempörung und Notarzteinsätzen bietet die Düsseldorfer Oper anstelle der Inszenierung nur noch eine konzertante Fassung an. Worauf die Berliner Akademie der Künste nun gegen eine vermeintliche Bedrohung der Kunstfreiheit protestiert.

Man wundert sich. Denn zu den Errungenschaften, heute in Demokratien wirklich frei über Kunst und Künstler reden und auch streiten zu können, gehört auch die Erkenntnis: dass zwischen Schöpfer und Werk zu unterscheiden ist. Ein Schauspieler, der am liebsten Schurken spielt, hat mit ihnen noch nichts gemein. Dichtungen, Kompositionen, Gemälde von Rang haben ihr Eigenrecht und ihr Eigenleben, weit über die Existenz, über Ansichten oder gar die Moral oder Unmoral ihrer Urheber hinaus. Auch dass Hitler Wagner verehrte, spricht noch nicht gegen Wagner. Nicht gegen sein Werk. Das meinte selbst Winston Churchill, der nach dem Sieg über Hitler zu Wagner ironisch anmerkte, „the music is better than it sounds“.

Allerdings steht Wagner wie sonst wohl nur Luther und Goethe – und weniger Kant oder gar Einstein – in der Welt für deutsche Kultur. Dabei ist Wagner auch der Repräsentant jenes Mystischen, Dunklen, dämonisch Romantischen, das viele Ausländer für typisch deutsch halten. Ein Gemisch, das sie gleichermaßen fasziniert und beunruhigt und den Blick dann gelegentlich verengt: wie zur Zeit im Pariser Louvre bei der großen, umstrittenen Ausstellung „De l’Allemagne“.

Doch ist Wagner so populär in aller Welt, doch sind die Bayreuther Festspiele auf Jahre hin ausverkauft (auch die untersagten Wagnerkonzerte in Israel waren überbucht), weil seine Musik alle Grenzen sprengt. „Tristan und Isolde“ oder der „Tannhäuser“ klingen so erotisch bis zum Wahnsinn, ein mal elegischer, mal orgiastischer Sound, Klassik und Pop, wie auch der „Walkürenritt“ aus dem „Ring“, der nicht nur in „Apocalypse now“ zur Kinomusik wurde oder Werbefilme für schnelle Autos befeuert. Wagner hat ungeheure Süße und gewaltige Wucht, er verbindet Mythos, Psychologie und Fantasy längst vor Freud, erfindet Hollywood vor dem Film.

Thomas Mann, noch als Kritiker zeitlebens im Banne Wagners, spricht von dessen „abgefeimtem Zauber“. Richard Wagner selber erscheint freilich viel zerrissener, als es sich Wagnerianer und Antiwagnerianer in ihrer weihevollen Bewunderung oder wüsten Ablehnung klarmachen wollen. Der Mann aus Sachsen, mit politischen Steckbriefen und von seinen Gläubigern durch ganz Europa gejagt, war Revolutionär und bürgerlicher Parvenü, ein Avantgardist mit der Dürerkappe, ein Betrüger und Betörer, Intellektueller und Sensualist, ein Antisemit, der seinen religiös durchwehten „Parsifal“ bei der Uraufführung im eigenen neuen Festspielhaus von Bayreuth vom Sohn eines Landesrabbiners dirigieren ließ. Meister und Monster. Ein Mensch mit vielen Gesichtern und spannenden Widersprüchen.

Auch darin wirkt Wagner, jenseits von Genie und Wahn, sehr modern. Nicht nur deutsch, sondern weltläufig und welthaltig. Kluge Inszenierungen wie der sogenannte Jahrhundert-„Ring“ Patrice Chéreaus in Bayreuth, zeichnen in den alten Fabeln dann ein imaginäres Bild der Gegenwart. Und das meist tragisch Widersprüchliche findet seine Erlösung in der Musik, die Wagner zum Finale, auch bei der „Götterdämmerung“, im sehnsuchtsvoll hoffnungsfrohen Dur komponiert hat. Untröstlich, aber nie trostlos.

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