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Vegetarische Produkten im Supermarkt. Der Europäische Gerichtshof hat entscheiden, ob rein pflanzliche Produkte Begriffe wie Butter und Käse im Namen tragen dürfen.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Urteil zu veganen Produkten: Der Vegetarier als Fleischfresser im neuen Gewand

Eine äußere Kennzeichnung von Lebensmitteln, die darauf verweist, was tatsächlich drin ist, ist ein bewährtes Prinzip - und sollte nicht einfach aufgegeben werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Der mündige Verbraucher hat trotz aller Anstrengungen der ihm gewogenen Politik noch immer einiges zu schlucken. Zum Beispiel das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von vergangener Woche. Schöpfungen der Lebensmittelhersteller wie Tofubutter und Pflanzenkäse dürfen danach nicht länger unter diesen Produktbezeichnungen in den Handel kommen. Sie seien weder Butter noch Käse, meinen die Richter. Ein Irrtum beim Einkauf könne zumindest nicht ausgeschlossen werden.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die zunehmend politische Debatte um den aufgeklärten Esser und die Zumutungen, denen er ausgesetzt ist. Denn wer irrt hier – die Verbraucher über den Käse? Oder das Gericht über die Verbraucher?

Die Reaktionen auf das Urteil wirken vielfach, als hätten sich die Richter verschätzt. Ihnen wird das Bild vom Konsumenten entgegengehalten, der von der Kühltheke über die Kantine bis zum Imbissbesuch souverän mit den Identitäten von Fleisch und Pflanze umzugehen weiß. So ist etwa das Schnitzel nur Essern von gestern eine dünn geklopfte Keulenscheibe. Orientierten Verzehrern schmeckt es als multifunktionales Bratstück, dessen Veggie-Versionen als solche nicht nur erkennbar, sondern variantenreicher als die tierischen sind.

Verbraucherpolitik sollte keine Geschmacksfrage sein

Dass Sojamilch weder Kuh- noch Sonnenmilch ist, muss einem demnach nicht oder zumindest nicht mehr mit EU-Vorschriften nahegebracht werden. Entsprechend verlacht wurde Ernährungsminister Christian Schmidt, als er zum Jahresanfang auf einen Namenswechsel für vegetarische Würste drang. Verbraucherschutz allein kann es folglich nicht mehr sein, der ein derart gefeiltes Regelwerk nötig oder wenigstens sinnvoll erscheinen lässt. Aber vielleicht etwas anderes: der Schutz vor Betrug.

Kein Betrug im strafrechtlichen Sinn, sondern ein Selbstbetrug. Derselbe mündige Verbraucher, dem jetzt das Brüsseler Reinheitsgebot übertrieben vorkommt, wonach ein Milcherzeugnis seinen Ursprung im Euter haben muss, ekelte sich vor ein paar Jahren über den aus Eiweiß, Ölen, Wasser und Geschmacksstoffen zusammengerührten „Analogkäse“. Nun jedoch wecken pflanzliche Gemische erst seinen Appetit, wenn sie in analogen Fleischformaten und als Fleischersatz angepriesen auf dem Teller liegen. Das Imitat ist das neue Original. Der Vorwurf der Täuschung wird abgelehnt, weil es das ist, worum es allen geht: getäuscht zu werden.

Natürlich kann die Politik einen solchen Wandel mitvollziehen. Sie müsste sich dann dafür einsetzen, die strikten Regeln, wie das EU-Gericht sie folgerichtig anwenden musste, wieder abzuschaffen. Doch es spricht für sie, dass sie es nicht ohne Weiteres tut. Der Wandel kam zu schnell, und Kritik am analogen Käse und Vorlieben für falsche Schnitzel vertragen sich schlecht. Verbraucherpolitik sollte keine Stimmungs- und erst recht keine Geschmacksfrage sein. Dass eine äußere Kennzeichnung darauf verweist, was tatsächlich drin ist, darf zudem als bewährtes Prinzip gelten, das nur mit guten Gründen aufgegeben werden sollte.

Wie sollen Hersteller und Händler ehrlich werden, wenn ihre Kunden es gar nicht wollen? Sich bewusst zu ernähren, verlangt nach Klarheit und Wahrheit in den Begriffen. Dass sie für Pflanzenzubereitungen fehlen, zeigt, dass die schöne neue Welt des Vegetariertums nur eine Kulisse in der alten der Fleischfresser ist.

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