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Der Anteil erneuerbarer Energieträger soll nach den Plänen der Europäischen Kommission auf 27 Prozent  steigen. Da fehlt der Ehrgeiz, sagen viele Experten.

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Gast-Kolumne "Kurz gesagt": Deutsche Energiewende unter Anpassungsdruck

Die anstehenden Verhandlungen über europäische Energie- und Klimaziele für das Jahr 2030 sind für die Zukunft der Energiewende nicht weniger wichtig als das "EEG 2.0".

Die Europäische Kommission hat ihren lange erwarteten Vorschlag für neue Energie- und Klimaziele präsentiert. Danach soll die EU ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent  im Vergleich zu 1990 senken. Der Anteil erneuerbarer Energieträger soll auf 27 Prozent  steigen. Die beiden vorgeschlagenen Zielwerte fallen nicht sonderlich ehrgeizig aus. Schon auf Basis der derzeit gültigen Gesetzgebung würde bis 2030 eine Emissionsminderung von 32 Prozent und ein Erneuerbaren-Anteil von gut 24 Prozent erreicht werden. Über die neuen Oberziele der EU-Energie- und Klimapolitik entscheidet am Ende nicht die Kommission, sondern der Europäische Rat. Dort aber ist ein Konsens aller 28 Staats- und Regierungschefs notwendig. Insbesondere Polen und andere mittelosteuropäische Staaten werden im Rahmen der nun beginnenden Verhandlungen versuchen, die Ziele weiter abzuschwächen. Beim Erneuerbaren-Ziel werden sie dabei von Großbritannien unterstützt.

Es ist zu erwarten, dass die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten langwierig und konfliktreich verlaufen werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Europäische Rat lediglich ein moderates Emissionsminderungsziel beschließen, das noch hinter dem Vorschlag der Kommission zurückbleibt. Zudem dürfte unter den 28 Staats- und Regierungschefs kaum ein Konsens über die Beibehaltung des Erneuerbaren-Ziels in seiner bisherigen Form herzustellen sein, mit einer Gültigkeit für alle Energieverbrauchssektoren (Strom, Wärme, Verkehr) und verbindlichen Vorgaben für alle Mitgliedstaaten.

Die Vorreiterrolle Deutschlands ist in Gefahr

Die Bundesregierung wird diesem Verhandlungsprozess große Aufmerksamkeit widmen müssen, denn die Auswirkungen eines wenig anspruchsvollen Verhandlungsergebnisses auf die deutsche Energiewende wären größer, als es hierzulande angenommen wird. Für den weiteren Verlauf der Energiewende sind die Verhandlungen über neue EU-Ziele mindestens so wichtig wie die anstehende Reform des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes ("EEG 2.0"). Diese Herausforderung anzunehmen, erfordert jedoch einen Perspektivwechsel. Denn die deutsche Energie- und Klimapolitik hat – entgegen aller proeuropäischen Rhetorik – seit dem Atomausstiegsbeschluss 2011 eher eine Wendung nach innen vollzogen. Dem liegt nicht zuletzt die in Deutschland weitverbreitete Ansicht zugrunde, ein energie- und klimapolitischer Vorreiter zu sein, dessen gutem Beispiel die anderen Europäer früher oder später ohnehin folgen werden. Doch im Kontext einer europäisierten Klimapolitik und einer zunehmenden Integration der Strom- und Gasmärkte kann sich Deutschland nur noch bedingt von unliebsamen Entwicklungen auf EU-Ebene abkoppeln. Viel mehr noch: Deutschland kann in Zukunft von seinen europäischen Partnern daran gehindert werden, seine angestammte Vorreiterrolle effektiv auszugestalten. Nicht nur die deutschen Erneuerbaren-Ziele könnten aufgrund schwacher EU-Beschlüsse unter Anpassungsdruck geraten. Sollte die EU ihren Ehrgeiz beim Klimaschutz bremsen und der Preis für Emissionszertifikate niedrig bleiben, werden sich vor allem auch die im Rahmen der Energiewende gesetzten Emissionsminderungsziele kaum noch einhalten lassen, weil von dieser Entwicklung insbesondere Kohlekraftwerke profitieren. Da die Hälfte der deutschen Emissionen dem vollständig europäisierten Emissionshandel (ETS) unterliegt, schlägt eine schwache EU-Klimapolitik also direkt auf das deutsche Emissionsniveau durch.

In weiten Teilen der EU vollzieht sich derzeit ein Paradigmenwandel, der die ökologische Nachhaltigkeit nicht länger ins Zentrum der Energiepolitik stellt. Dies steht in direktem Widerspruch zu Zielen und Philosophie der deutschen Energiewende. Die Bundesregierung sollte sich daher darauf konzentrieren, das eigene Energiewende-Konzept europapolitisch zu flankieren. Andernfalls wird das nationale Leuchtturmprojekt durch europäische Entwicklungen konterkariert.

Worauf Deutschland im Europäischen Rat drängen sollte

Beim Emissionsminderungsziel sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass das von der Kommission vorgeschlagene Niveau in den Verhandlungen nicht noch weiter abgeschwächt wird. Dabei kommt es nicht nur auf die sichtbare Zielhöhe an, sondern auch auf das Kleingedruckte. Wenn die EU ihre Vision einer klimafreundlichen Transformation des europäischen Energiesystems tatsächlich ernst meint, muss sie der Versuchung widerstehen, ein vordergründig passabel klingendes Minderungsziel von 40 Prozent  durch fragwürdige Anrechnungsmöglichkeiten – etwa für Zertifikate aus internationalen Klimaschutzprojekten – auszuhöhlen.

Beim Erneuerbaren-Ziel dürfte es nur sehr schwer möglich sein, im Europäischen Rat zu einer Vereinbarung zu kommen, die alle Energieverbrauchssektoren umfasst. Aus deutscher Sicht ist dies auch nicht zwingend notwendig, da Transport- und Wärmesektor nur bedingt binnenmarktrelevant sind. Zur Flankierung der Energiewende ist es jedoch unabdingbar, dass der Ausbau der Erneuerbaren im Stromsektor EU-weit mit einem rechtsverbindlichen Ziel vorangetrieben wird, da sich der deutsche Ausbaupfad nur bei einer weitgehend konfliktfreien Einbindung in das europäische Stromnetz effizient umsetzen lässt.

Wenn in den kommenden Wochen harsche Kritik am Vorschlag der Kommission laut wird, sollte nicht übersehen werden, dass der Kommissionsvorschlag nur ein Eröffnungsangebot für die anstehenden Verhandlungen ist. Die 28 Mitgliedstaaten haben es selbst in der Hand, über die künftige Gestalt der EU-Energie- und Klimapolitik zu entscheiden.

Oliver Geden und Severin Fischer forschen an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu EU-Energie- und Klimapolitik. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

Oliver Geden, Severin Fischer.

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