Meinung: Deutschlands wahre Schulden
Das Urteil des Internationalen Gerichtshofes ist juristisch korrekt, aber nicht gerecht
Stand:
Erfolg für Deutschland – wie den Ausgang eines Fußballspiels betiteln die Nachrichtenagenturen jenes Urteil, mit dem das höchste UN-Gericht am Freitag den Versuch unterbunden hat, Hitlers noch lebenden Opfern Gerechtigkeit zu verschaffen. Die andere Mannschaft allerdings war in diesem Spiel gar kein Gegner: Italiens Regierung hat, ziemlich offen, betont, dass sie im Streit darum, ob die Justiz des eigenen Landes italienischen Überlebenden gegen Deutschland Recht verschaffen dürfe, auf Seiten Berlins stehe. Schließlich hätte Italien selbst Millionenklagen zu erwarten gehabt, wenn am Freitag das Prinzip der sogenannten Staatenimmunität Risse bekommen hätte. Auch auf dem Balkan und in Mussolinis afrikanischen Kolonien wurden Menschen gequält, versklavt und ermordet, die selbst oder deren Angehörige noch Ansprüche stellen könnten.
Aber noch aus einem anderen Grund ist das Urteil des Internationalen Gerichtshofes ein Erfolg bestenfalls für die solide Facharbeit der deutschen Juristen, deren Argumentation die Den Haager Richter fast lückenlos folgten. Politisch ist der Spruch ein Desaster. Auch wenn es, wie auf deutscher Seite immer wieder betont wird, in dem Verfahren nicht um die Schrecken deutscher Verbrechen, sondern um ein Rechtsprinzip ging, so treffen die Folgen der Entscheidung doch erneut ganz konkret Menschen: die Überlebenden deutscher Massaker in Italien und Griechenland und zur Zwangsarbeit verschleppte Italiener. Die einen scheiterten vor deutschen Gerichten, die andern gleich an der eigenen Regierung in Athen, der der Schutz deutschen Eigentums wichtiger war als Gerechtigkeit für etliche ihrer Bürger. Jetzt scheitert ihr Anliegen ein weiteres Mal, vermutlich endgültig. Und der Eindruck bleibt zurück: Europas stärkstes Land kann sich gegen die Zumutungen einer verbrecherischen Vergangenheit panzern. Es ist immun.
Dieser Eindruck wäre schon in besseren Tagen fatal. Die Blutspur, die Deutsche auf dem Balkan und durch das ab 1943 besetzte Italien zogen, ist an den Orten des Geschehens blasser geworden; sichtbar und fühlbar ist sie noch immer, davon kann sich jeder Urlauber überzeugen. Doch die Euro-Krise reißt alte Wunden wieder auf, und es gehört schon Blindheit dazu, dies nicht zu bemerken – und die Lage sogar zu verschärfen. Ausgerechnet zwei Länder, die massiv unter der deutschen Besatzung gelitten haben, müssen sich jetzt deutsche Belehrungen über ihre Schulden anhören. Und während Deutschland in Den Haag seine Souveränitätsrechte verteidigt, denken deutsche Spitzenpolitiker laut darüber nach, die „Pleitegriechen“ von einem Sparkommissar überwachen zu lassen.
Es ist Zeit einzusehen, dass Deutschland hier in der Schuld steht. Übrigens auch, weil die Bundesrepublik, Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches, jahrzehntelang auf einen Friedensvertrag vertrösten konnte, wenn sie sich mit Reparationsforderungen konfrontiert sah. Wenn es nun heute heißt, nach mehr als sechzig Jahren passten Reparationen nicht mehr in die Zeit, ist das nur noch zynisch.
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