Bildung in Brandenburg: Die Deppen vom Dorfe
Für Brandenburg ist es ein verstörender, schockierender Rückschlag. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) wollte, wie er in Regierungserklärungen ankündigte, „kein Kind mehr zurücklassen“.
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Für Brandenburg ist es ein verstörender, schockierender Rückschlag. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) wollte, wie er in Regierungserklärungen ankündigte, „kein Kind mehr zurücklassen“. Stattdessen hinkt inzwischen eine ganze Generation weiter ihren Altersgenossen anderswo in Deutschland hinterher. Als ob die frühere SPD/CDU-Regierung nicht alles versucht hätte, seit der roten Pisa-Warnlaterne 2001: Man gibt mehr Stunden in Mathe und Deutsch, hat Lehrpläne erneuert, Begabtenklassen und Kopfnoten eingeführt, „Schul-TÜVs“, Aufnahmetests an Gymnasien, jede Menge Vergleichsarbeiten, zentrale Prüfungen nach der 10. Klasse und beim Abitur. Trotzdem wurde Brandenburg wie Berlin nebenan, jetzt beim deutschen Leistungsvergleich in Deutsch und Englisch böse abgehängt. Da funktioniert sie, die gemeinsame Bildungsregion. Aber wie kommt es, dass Brandenburg so zurückgeworfen wurde?
Vieles, was weiter im Argen lag, ist lange bestens bekannt. Dass es zu wenige Vorgaben für zu vermittelndes Basiswissen gibt, dass zu viel Unterricht landauf und landab ausfällt. Es sage niemand, er sei überrascht über Habe-Fertig-Deutsch, wenn Kinder heranwachsen, ohne in der Grundschule ein Buch zu lesen. Und wer mit allen möglichen und unmöglichen, erst jetzt vom Bundesgericht als gesetzwidrig gerügten Zwangsteilzeitmodellen die personelle Erneuerung der Lehrerschaft verhindert, wer überzählige Unterstufenlehrer mal schnell auf Englisch umschult, mag vielleicht sozial sein; er muss sich aber nicht wundern, wenn Kinder dann schlecht Englisch sprechen und richtiges Englisch nicht verstehen. Leider fehlt zu oft die Liebe zum Beruf, zum Fach, zur Sprache. Wer Veränderungen an Schulen will, muss Lehrer erst einmal dazu bringen, Veränderungen zu wollen – ein Tabu in Brandenburg. Da ist Politik feige, da spielt die Bildungsgewerkschaft – jede Kritik am Berufsstand mit dem Totschlagargument schlechter Personalausstattung der Schulen abbügelnd, ein ewiger Reflex – eine mehr als fragwürdige Rolle. Eine „Bildungsoffensive“ aber, die keine Energien freisetzt, keine Motivation auslöst, die das Lehr- und Lernklima nicht hochreißt, Frustrationen von Pädagogen nicht beseitigen kann, verpufft eben. Und da wird es nicht reichen, dass Rot-Rot jetzt – viel zu spät – mehr als 1000 junge Pädagogen einstellt oder ein Schüler-Bafög für bedürftige Elftklässler erfindet, wo die Schwachen vorher auf der Strecke geblieben sind. Bildungsgerechtigkeit? In Brandenburg jenseits der Ideologien ein weites Feld.
Was aber am meisten alarmieren muss: Schüler in der Mark schneiden genauso schlecht ab wie in Berlin, obwohl im Gegensatz zur Metropole zwischen Prignitz und Lausitz kaum Migranten leben. Das ist das nächste brandenburgische Tabu: Was tut ein Land, das sich immer noch zu viele Deppen vom Dorfe großzieht, mit armen, strukturschwachen, ausgezehrten Landstrichen, in denen nach dem seit einem Jahrhundert anhaltenden Abwandern von klugen Köpfen bildungsferne Schichten die Bevölkerung dominieren und eine Zweiteilung in den Köpfen droht? Wieder Verdrängung, wieder Nebel, nachdem vor einigen Jahren die bösen Prophezeiungen von der auf die Verödung folgende Verblödung kurz für Wirbel und Proteste sorgten. Brandenburg ist inzwischen meisterhaft im Vermessen seiner „gläsernen“ Schüler, mit all den neuen Tests und Prüfungen. Was daraus folgt? Kaum Tiefenanalyse, kaum offener strategischer Diskurs, kaum Konsequenzen. Ist eine unter völlig anderen Bedingungen entstandene sechsjährige Grundschule wirklich ein Zukunftsmodell, wenn Oberschulen und Zwölf-Jahre-Abi eingeführt sind? Selbst in der DDR, die Linken müssten es ja noch wissen, ging die Unterstufe nur bis Klasse 4. Braucht die Mark differenzierte Lösungen, für die Peripherie, für den Berliner Speckgürtel? Für leistungsschwache Jungen, die das Gros der Sitzenbleiber und Schulabbrecher ausmachen auf der einen, endlich eine Hochbegabtenförderung auf der anderen Seite? Noch setzt man in der brandenburgischen Bildungsverwaltung auf die Kopie, auf Modelle à la Bayern, Baden-Württemberg oder Sachsen. Allerdings, wenn hier ein ganz eigener Bildungsnotstand droht, reicht nacheilende Bildungspolitik nicht aus. Spicken ersetzt kein Lernen.
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