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Die IG Metall gewinnt: Fast neun Prozent mehr Geld – die Arbeitgeber haben sich verzockt
Weil ihre Strategie nicht funktioniert, müssen die Arbeitgeber deutlich höhere Personalkosten verkraften. Das geht bei manchen über die Schmerzgrenze hinaus.

Stand:
Acht Prozent mehr Geld hat die IG Metall gefordert, mit 8,5 Prozent kommt sie vom Verhandlungstisch - wie kann das sein? Die Frage lässt sich mit der Zeit beantworten.
Die erstaunlich kräftige Erhöhung der Tarifentgelte um 5,2 Prozent für fast vier Millionen Beschäftigte der Metallindustrie kommt erst im Juni nächsten Jahres und eine weitere Stufe um 3,3 Prozent wird wirksam im Mai 2024.
Das ist eine Wette auf die Zukunft: Die Tarifpartner erwarten das Ende der Rezession im Sommer. Die heute von der Inflation geplagten Metaller können darauf nicht warten, deshalb gibt es Anfang nächsten Jahres 1500 Euro der steuer- und abgabenfreien Inflationsprämie, um die Energiekosten zumindest teilweise zu finanzieren. Olaf Scholz sieht sich bestätigt.
Die vom Bundeskanzler erfundene Prämie erfüllt ihren Zweck, indem sie den Tarifparteien die Kompromissfindung erleichtert. Die Arbeitnehmer bekommen ziemlich schnell ziemlich viel Geld, die Arbeitgeber werden erst später mit der prozentualen Erhöhung der Entgelte dauerhaft belastet.
Auf der anderen Seite entgehen den Sozialsystemen und den Finanzämtern erhebliche Einnahmen. Das ist der Beitrag des Staates zu der von Scholz wiederbelebten konzertierten Aktion.
Zuvor hatten bereits die Tarifparteien in der Chemieindustrie mit Hilfe der Inflationsprämie einen Tarifkompromiss erreicht inklusive einer Erhöhung der Entgelte um 6,6 Prozent. Da liegt die IG Metall deutlich drüber. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Prozente hatten Priorität
Die Priorität der größten deutschen Gewerkschaft, die für die deutsche Leitindustrie die Tarifbedingungen aushandelt und traditionell die Tarifführerschaft hierzulande ausübt, waren in diesem Jahr Prozente, nachdem die zuletzt 2018 vereinbart wurden.
In der Zwischenzeit gab es alle möglichen Sonderzahlungen und coronabedingten Krisenkompromisse, aber keine dauerhaft wirkenden Erhöhungen der Entgelttabellen. Mit dem Abschluss von Ludwigsburg wird das korrigiert.
Wenn in zwei Jahren die nächsten Verhandlungen anstehen, dann liegen die Grundgehälter als Grundlage für die nächsten Erhöhungen um knapp neun Prozent über dem gegenwärtigen Niveau.

© dpa/Marijan Murat
Das tut den Arbeitgebern weh und geht bei manchen über die Schmerzgrenze hinaus. Jedenfalls dann, wenn die Rezession sich über 2023 hinaus ziehen sollte. Mit der langen Laufzeit von 24 Monaten reden sich die Arbeitgeberfunktionäre den Abschluss schön; und mit den Differenzierungsmöglichkeiten bei Sonderzahlungen.
Das bereits vor Jahren vereinbarte tarifliche Zusatzgeld, dass Mitte nächsten Jahres in Höhe von 600 Euro pro Kopf fällig ist, kann reduziert, verschoben oder gestrichen werden, wenn die Rendite des Unternehmens unter 2,3 Prozent liegt. Das wird indes kaum ausreichen, um den leidendenden Zulieferbetrieben und Mittelständlern mit hohem Lohnkostenanteil den insgesamt teuren Tarifabschluss zu vermitteln.
Die Arbeitgeber haben sich verzockt. Zwei Monate sind von der ersten Verhandlung bis zum Abschluss vergangen. Viel zu lange wurde gewartet mit einem ersten Angebot, sodass die IG Metall keine Mühe hatte, Hunderttausende zu Warnstreiks zu motivieren.
Mit jedem Tag stiegen die Erwartungen der Metaller, und das Warten der Metallarbeitgeber auf den Abschluss in der Chemieindustrie erwies sich als Fehler.
Wieder einmal hat der Dachverband Gesamtmetall, der die Verhandlungen der entscheidenden Regionalverbände in NRW, Bayern und Baden-Württemberg koordinieren muss, eine unglückliche Rolle gespielt. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen den Gesamtmetallpräsidenten wegen der illegalen Beschäftigung einer privaten Haushaltshilfe waren auch nicht hilfreich.
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Der Abschluss von Ludwigsburg offenbart die Schwäche der Arbeitgeber an der Verbandsspitze. Die IG Metall ist besser aufgestellt und hat die Qual der Wahl beim Gewerkschaftstag im Herbst 2023, wenn es um die Nachfolge von Jörg Hofmann geht. Der Baden-Württemberger Hofmann ist ein exzellenter Tarifpolitiker mit solidem makroökonomischen Wissen.
Das trifft auch zu bei Roman Zitzelsberger, der den Abschluss von Ludwigsburg ausgehandelt hat und Hofmann bereits als Bezirksleiter von Baden-Württemberg nachgefolgte. Zitzelsberger will IG-Metall-Chef werden, aber auch die derzeitige zweite Vorsitzende Christiane Benner.
Wenn es Hofmann gelingt, mit diesen beiden eine einvernehmliche Nachfolge zu organisieren, wird er als erfolgreicher Vorsitzender im Geschichtsbuch der IG Metall auftauchen.
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