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Vor allem auf dem Land gibt es zu wenige niedergelassene Ärzte.

© dpa

Ärztemangel in Deutschland: Die Kommunen sind gefragt

Der Patientenbeauftragte warnt: In Deutschland ist die flächendeckende Versorgung mit Ärzten gefährdet. Die Politik will nun wieder einmal gegensteuern. Doch die Regierenden scheinen mit ihrem Latein am Ende. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Rainer Woratschka

Eigentlich dürfte es das nicht geben, in einem der gerühmtesten Gesundheitssysteme der Welt. Doch es ist Realität. Wer auf dem Land wohnt oder in einem unattraktiven Stadtteil, läuft immer öfter Gefahr, keinen Arzt mehr zu finden. Klassische Situation: Die vertraute Praxis macht dicht, der Doktor war über 70, ein Nachfolger nicht aufzutreiben. Die Patientenkarteien der Kollegen in der Nähe sind proppenvoll. Ausnahmsweise werde man ihn behandeln, erfährt der Erkrankte dort, nachdem er vom Flehen zum Drohen übergegangen ist. Aber wiederzukommen brauche er nicht mehr. So erlebt vor kurzem in Berlin-Schöneweide, Bezirk Treptow-Köpenick.

In Berlin kann man sich noch in die S- Bahn setzen, in Finsterwalde oder Spremberg geht gar nichts mehr. Die flächendeckende Versorgung sei gefährdet, konstatiert der Patientenbeauftragte, die Lage "äußerst besorgniserregend". Wie haben wir noch so schön argumentiert in der Sterbehilfe-Debatte?

Die Politik greift in den Notfallkoffer

Aus Angst vor dem Alleingelassensein mit unerträglichen Schmerzen dürfe hierzulande keiner zum Suizid getrieben werden. Doch wo sind sie denn, die mobilen Geriater, die das würdevolle Altern zu Hause ermöglichen? Wo die kundigen Palliativmediziner, die Schmerz und Sterbequal nehmen? Wenn nicht mal mehr ein Allgemeinarzt in der Nähe ist, um Rezepte auszustellen und Blutwerte zu kontrollieren.

Die Regierenden haben, damit man sie nicht der Untätigkeit bezichtigt, noch mal in den Notfallkoffer gegriffen. Sie werden ein "Versorgungsstärkungsgesetz" gegen den Ärztemangel beschließen. Zwei Jahre vorher gab es ein "Versorgungsstrukturgesetz". Und der neuerliche Wust aus Verfahrensvereinfachungen und Förderofferten ist wieder vor allem eines: hilflos. Die Politik scheint, was die Ärzteverteilung im Land betrifft, mit ihrem Latein am Ende.

Bereits jetzt haben Landärzte alle erdenklichen Freiheiten und Fördertöpfe. Sie müssen nicht mehr dort wohnen, wo sie praktizieren. Sie erhalten Honorarzuschläge, Mietzuschüsse, Lockprämien. In Kranenburg am Rhein gibt es für die Niederlassung 25 000 Euro aus der Gemeindekasse. In Bayern bis zu 60 000 von der Staatsregierung. Wer bietet mehr?

Nein, so lässt sich das Problem nicht lösen. Kein seriöser Arzt hadert damit, dass er zu wenig verdient. Es geht um anderes: Lebensumfeld, Arbeitsbelastung, fachliche Herausforderung. Schon an den Unis kriegen Studenten eingeimpft, dass die Allgemeinmedizin unterste Kaste ist.

Dabei müssen Hausärzte viel mehr können als mancher Spezialist. Sie sind Notfallmediziner, Lotse und Seelendoktor, brauchen den großen Überblick. Sie müssen diagnosesicher sein. Und, immer stärker, geriatrisch versiert. Es ist überfällig, dass ihr Fach aufgewertet wird.

Und die Funktionäre müssen kapieren, dass der selbstständige Landarzt, der sich für seine Praxis über beide Ohren verschuldet und darin 70-Stunden-Wochen absolviert, ein Auslaufmodell ist. Wenn es mehr Angestellten- und Teilzeitjobs gäbe, wenn sich junge Ärzte nicht über hohe Investitionen lebenslang auf ein ihnen unbekanntes Provinznest festlegen müssten, könnten viele die Schwellenangst verlieren, es zumindest probieren.

Wenn’s nicht klappt, kommen andere. Länder und Kommunen sollten schleunigst und systematisch Versorgungszentren einrichten, in denen Ärzte verschiedenster Fachrichtung angestellt werden. Zu attraktiven Arbeitsbedingungen. Und eng verzahnt mit örtlichen Kliniken und Pflegeheimen.

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