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Mauerfall 1989

© dpa

25 Jahre Mauerfall: Die Wucht der Wende

Vor der Wende hat niemand an sie geglaubt, danach wollten es alle gewusst haben. Dabei geht unter, was der Mauerfall heute noch immer ist: Treibstoff zum Träumen.

Die ungeheure Kraft und Dynamik, die in der Wendezeit, im Mauerfall und in der Einheit lag, wird heute oft in rührseligen „Weißt du noch“- Anekdoten ertränkt. Ein Vierteljahrhundert danach scheint auch diese deutsche Geschichte weitgehend abgeschlossen und erledigt zu sein, Geschichte eben, so wie es 1970, ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende, mit der Nazizeit war. Doch zu Beginn dieses Erinnerungsjahres lässt die Publizistin, Netzaktivistin und Piratenpolitikerin Anke Domscheit-Berg, 1968 geboren in Premnitz, aufgewachsen in der DDR, den Sturm von damals mit einem bemerkenswerten Satz ins merkelig-geruhsame Alternativlosland wehen: „Der Mauerfall ist die endlose Energiequelle, die mich immer antreiben wird.“ Die wichtigste Botschaft des Lebens gehe von den Ereignissen damals aus: Nichts, wirklich nichts müsse so bleiben wie es ist, schreibt sie, egal, wie stabil es aussieht. Nie wieder könne ihr jemand erzählen, dass irgendetwas nicht geht. Ein Manifest zur Veränderung, zur Verbesserung der Welt.

Nicht nur Honecker sah die Teilunug als Dauerzustand

Dass irgendwann die Mauer fällt und die Einheit kommt, dass so etwas geht, das haben vor ’89 – und auch noch mittendrin – nur die wenigsten erwartet. Erich Honecker sah sie noch in hundert Jahren stehen, und auch im Westen, hier besonders im linken, grünen, sozialdemokratischen Milieu, war die Sache abgehakt, mindestens das. Es ist in der Rückschau immer wieder verblüffend, wie weit weg von der sich entfesselnden Kraft doch diejenigen waren, die sich dem Lauf der Zeit und den Dingen am nächsten wähnten. Egon Bahr, einst Willy Brandts maßgeblicher Ostpolitiker und Protagonist des Kurses „Wandel durch Annäherung“, war einer der vielen, beispielhaft. Noch kurz vor dem Mauerfall erschien bei Bertelsmann ein Buch gesammelter „Reden über das eigene Land“, in dem Bahr apodiktisch erklärte: „Es gibt keine Chance, die deutschen Staaten zusammenzuführen.“ Jahrzehnte habe er gebraucht, zu dieser Erkenntnis zu kommen. Die Sonntagsrederei von der Wiedervereinigung sei „objektiv und subjektiv Lüge, Heuchelei, die uns und andere vergiftet, politische Umweltverschmutzung“. Das größere Problem der Deutschen sei das wachsende Ozonloch.

Überrollt von der Wucht der Ereignisse

Viele Jahre später, 2005, sah die Sache für Bahr ganz anders aus. In einem Interview mit der „FAZ“ erklärte er: „Dass es zu einer Wiedervereinigung kommt, da war ich sicher. Ich habe diese Überzeugung nie verloren.“ Und auf die Frage, ob er vor dem Fall der Mauer der Meinung war, das Ziel deutscher Politik müsse es sein, zur Vereinigung zu kommen, antwortete Bahr nur: „Ja.“ Er habe mit allem, was geschehen ist, „das erreicht, was ich wollte“. Einem wie Bahr konnte also auch nie irgendjemand erzählen, dass irgendetwas nicht geht – allerdings nur im Nachhinein. Der Fall der Mauer und die Vereinigung ist für ihn ein abgeschlossener Prozess, immer leichter verklärbare Vergangenheit. Doch die Wucht der Ereignisse, die Bahr überrollte, so wie auch Hans-Jochen Vogel („illusionäres Wiedervereinigungsgerede“, September ’89), Oskar Lafontaine („historischer Schwachsinn“, Dezember ’89), Willy Brandt („die Hoffnung auf Wiedervereinigung wird gerade zur Lebenslüge“, September ’89), Gerhard Schröder („keine Chance“, September ’89), wirkt nach, ist nicht vergangen. Das, was vor 25 Jahren geschah, bleibt Treibstoff zum Träumen, Hoffen, Glauben und Kämpfen.

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