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Meinung: Einer muss Staat machen

SPD-Chef Platzeck gehört ins Kabinett

Dass die SPD derzeit irritiert ist, kann man ja verstehen: Zwar hat sie sich in eine Beteiligung an einer großen Koalition gerettet – doch in den Umfragen wird ihr das (noch) nicht honoriert. Zwar hat sie sich nach der von Andrea Nahles ausgelösten Führungskrise schnell an die Brust des neuen Parteichefs Matthias Platzeck geflüchtet – aber der Retter aus der Not kommt in der öffentlichen Wahrnehmung und in den Machtspielen (noch) nicht so recht vor. Derweilen setzt Franz „Basta“ Müntefering die um einige Jahre vorgezogene Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre kurz und entschlossen durch, mit Unterstützung zwar des Kabinetts, aber nicht der Partei. Weil die SPD irritiert ist, muss sie sich aber nicht gleich einer regelrechten Verwirrung hingeben.

Wohl wahr, ohne Parteien kann man in der modernen Demokratie kaum Wahlen abhalten und Regierungen bilden. Wenn jedoch ein Parlament und eine Regierung gewählt worden sind, dann liegen die Prärogativen der Macht erst einmal bei diesen staatlichen Organen, nicht mehr bei den Parteien. Mit anderen Worten: Der zuständige Minister ist im organisatorischen Teil der Verfassung vorgesehen, der Vorsitzende der SPD aber nicht. Und ein Bundesminister führt – innerhalb der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs – „seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung“. Die Partei kann ihre Minister beim Regieren in Grenzen unterstützen (und dies effektiv nur durch ihre Fraktion im Parlament), hindern kann sie dieselben nicht. Soweit in groben Grundzügen die verfassungsrechtliche Kleiderordnung!

Nun wissen wir alle, dass in der Verfassungswirklichkeit sich die Wirkungskreise immer wieder überschneiden. Aber selbst bei realistischer Betrachtung bleibt ein durch nichts einzuholender Vorrang der demokratisch gewählten staatlichen Organe. Wer ihren Weg bestimmen will, muss ihnen angehören. Und selbst wenn er ihnen angehört, sogar an exponierter Stelle, wird er feststellen, dass eine hervorgehobene Parteifunktion ihm dabei noch nicht viel nützt, dass also Staatsamt immer vor Parteiamt geht. Wer hätte dies schroffer erfahren müssen als Oskar Lafontaine? Der bildete sich ein, er könne als SPD-Vorsitzender und Finanzminister jenen Gerhard Schröder domestizieren, dem er bei der Kandidatur und Wahl zum Kanzler den Vortritt lassen musste. Pustekuchen! Lafontaine wachte so hart in der Realität auf, dass er lieber gleich den ganzen Bettel hinschmiss.

Wenn der Anführer eines politischen Lagers wirklich Macht ausüben will, muss er seine Formation an führender Stelle in Parlament oder Regierung vertreten. Willy Brandt ist kein Gegenbeispiel für diese Regel, denn sein Einfluss als Parteivorsitzender nach 1974 beruhte darauf, dass er zuvor Kanzler gewesen war. Und nur wegen dieser besonderen Konstellation hatte Helmut Schmidt es später immer bedauert, dass er Brandts Nachfolge nur im Kanzleramt, nicht aber auch an der Parteispitze angetreten hatte.

Es mag ja Gründe des Zögerns dafür geben, dass Matthias Platzeck auch als Chef der Bundespartei Ministerpräsident bleiben wollte. Aber die Entscheidung war bundespolitisch objektiv falsch, denn mit Zögern gewinnt man keinen Blumentopf. Auch das Rederecht von der Bundesratsbank aus ersetzt nicht den fehlenden Platz an der Spitze der SPD-Ministerriege im Kabinett oder wenigstens an der Spitze der Fraktion; aber dem Bundestag gehört Platzeck halt nicht an.

Über kurz oder lang muss entschieden werden: Bündelung oder Zerfaserung der Macht. Denn die Regel gilt: Wer Spitze sein will, muss an die Spitze – und wer es im Staate sein will, braucht dafür ein staatliches Amt.

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