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Meinung: Ende der Vollgas-Nostalgie

Das Tempolimit auf der Autobahn kommt – auch wenn die Politiker sich noch winden

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Der deutsche Autoingenieur, Homo piech Wolfsburgiensis, hat seine Prinzipien. Das wichtigste lautet: Die freie Entfaltung der Leistung ist unser höchstes Gut. Deshalb hat er bis zum letzten PS gegen den Katalysator gekämpft, deshalb hat er den Dieselrußfilter zum Teufelszeug erklärt. Und er hasst es immer noch, dass er seine schönsten Autos bei Tempo 250 abregeln muss, obwohl sie locker 280 schaffen würden.

Rasen ohne Grenze – das ist ein sehr deutsches, von der Industrie genährtes Tabu. Dennoch wird im Klimawandel die Forderung nach einem Tempolimit auf unseren Autobahnen immer lauter, der Druck seitens der EU steigt. Doch seltsam: Selbst jene Politiker, die sonst jedes noch so abwegige Weltuntergangsszenario zum Anlass hektischer Betriebsamkeit nehmen, zucken bei diesem Thema zurück. Man dürfe nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf jagen, sagt Peter Struck – als wäre er nicht einer derjenigen, die genau das jeden Tag tun. Umweltminister Sigmar Gabriel spricht abfällig von „Symbolpolitik“, das ist angesichts der durch ein Tempolimit erreichbaren Einsparung an Kohlendioxid nicht einmal falsch. Doch das Tempolimit bringt unbestritten mehr als das Programm zur Fassadenisolierung oder unzählige andere Pläne, die Gabriel energisch vorantreibt. Auch das mag Symbolpolitik sein. Aber dann sollte sich der Minister entscheiden, was er will.

Lassen wir die Klimadebatte einfach mal beiseite. Unabhängig von ihr ist unstrittig, dass die westlichen Länder ihre Abhängigkeit vom Erdöl mindern müssen. Unabhängig von ihr ist unstrittig, dass hohes Autobahntempo eine der wichtigsten Ursachen schwerer Unfälle ist. Und unabhängig von ihr ist unstrittig, dass Deutschland als nahezu letztes Land der Welt auf seinen Autobahnen kein Tempolimit kennt, ein gallisches Dorf hartnäckiger Vollgas-Nostalgiker.

Die Gegenargumente? Na ja. Es macht Spaß, mit Tempo 220 über leere Autobahnen zu brettern – das sagen sowohl unsere Turbo-Rolfs als auch verantwortungsvolle Fahrer, die nie einen Unfall gebaut haben. Ein Stück Freiheit. Aber muss dieses Stück wirklich um jeden Preis geschützt werden?

Ein anderes Gegenargument wirkt gewichtiger. Es lautet: Wenn das Limit kommt, wird sich niemand mehr teure deutsche Autos kaufen, und die gesamte Branche kommt ins Schlingern. Das ist offenbar das Schreckbild, mit dem die Autolobby die Strucks und Gabriels unter Druck setzt. Doch es ist auch offensichtlicher Unfug: Notorisch schnelle Spritsäufer wie der Porsche Cayenne werden ganz überwiegend in Länder verkauft, wo sie nicht einmal zur Hälfte ausgefahren werden dürfen.

Daran ändert ein Tempolimit in Deutschland nichts. Es könnte unsere Ingenieure sogar dazu bewegen, das PS-Rennen abzublasen, sich endlich ganz auf die Minderung von Verbrauch und Abgasen zu konzentrieren und den peinlichen Rückstand auf die Kollegen in Frankreich oder Japan bei diesem Thema aufzuholen. Der Markt allein kann es nicht, also hat die Politik es zu richten. Und sie wird es sehr bald tun. Weil sie muss.

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