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Meinung: EU-Erweiterung: Kanzlers Pyrrhussieg

Ein Problem, drei Öffentlichkeiten - so ist das in EU-Europa. Der Kanzler darf zunächst strahlen: Die Europäische Kommission hat seine Forderung nach sieben Jahren Übergangsfrist für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den künftigen EU-Staaten in Mittel- und Osteuropa zur offiziellen Verhandlungsposition gemacht.

Ein Problem, drei Öffentlichkeiten - so ist das in EU-Europa. Der Kanzler darf zunächst strahlen: Die Europäische Kommission hat seine Forderung nach sieben Jahren Übergangsfrist für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den künftigen EU-Staaten in Mittel- und Osteuropa zur offiziellen Verhandlungsposition gemacht. Nun, es gab geringfügige Modifikationen, wie Erweiterungs-Kommissar Verheugen, ein Parteifreund Schröders, bekannt gab: Fünf Jahre, die um zwei verlängert, aber auch um zwei verkürzt werden können - freilich nur einstimmig, also nicht gegen deutsches Veto. Für Schröder ist das innenpolitisch was wert, die Union hätte sich im Wahlkampf gerne als Sachwalterin deutscher Arbeitnehmer mit Angst vor Billiglohn-Konkurrenz profiliert.

Sachlich sind die Fristen nicht gerechtfertigt, sagen die meisten Experten. Die Polen, Tschechen oder Ungarn, die in Deutschland (oder Österreich) arbeiten wollen, sind längst da. Die gut Ausgebildeten finden heute auch in der Heimat attraktive Jobs. Und jene, denen Sprachkenntnisse und Fertigkeiten fehlen, haben kaum Chancen, mit EU-Bürgern zu konkurrieren. Mit 150 000 bis 200 000 Zuwanderern pro Jahr müsse Deutschland nach der Erweiterung rechnen, schätzen Fachleute. Das ist noch nicht mal die Zahl, die wir für das Funktionieren der Sozialsysteme brauchen.

Allenfalls in einem Punkt mögen die Übergangsfristen für einen glatteren Verlauf der Erweiterung sorgen: Wenn sie gegen die Ängste helfen, die es nun einmal gibt - auch wenn sachlich kein Grund besteht - und die politisch ernst genommen werden müssen. Wir schützen euch, sagt der Kanzler denen, die um ihren Job fürchten, wenn halb Osteuropa im Westen nach Arbeit suchen darf.

So weit die deutsche Öffentlichkeit. Und die internationale? Zunächst die Kandidatenländer. Wenn schon das stabile und wirtschaftlich gar nicht gefährdete Deutschland sich sachlich überflüssige Übergangsfristen leistet, wie werden es dann wohl die Polen, Tschechen und Ungarn mit ihren Problemen halten: Landwirtschaft, Umweltstandards und so weiter? Sie müssen wirklich Schaden befürchten - nicht nur politischen - und werden nun erst recht um Fristen zu ihren Gunsten kämpfen.

Was die Verhandlungen erschwert und verzögert. Besonders im Fall Polen. Der Nachbar und größte Beitrittskandidat soll nach deutschem Willen unbedingt in der ersten Runde dabei sein. Man darf gespannt sein, wie Berlin das den Ungarn, Slowenen und Esten verkauft, die bald fertig sind mit ihren Beitrittsgesprächen: dass sie ein, zwei, vielleicht drei Jahre auf Polen warten sollen. Oder wie Schröder und Fischer den Polen erklären, warum sie doch nicht von Anfang an dabei sind.

Drittens schließlich verfolgen die heutigen EU-Mitglieder die Entwicklung. Spanien, Portugal, Griechenland brauchen keine Übergangsfristen bei der Freizügigkeit, zu ihnen werden die Polen und Balten nicht kommen. Sie haben dennoch dem deutschen Drängen nachgegegeben. Warum wohl? Das wird noch teuer: Strukturfonds, Regionalfonds, die überfällige Agrarreform. Der Erfolg an der innenpolitischen EU-Erweiterungs-Front wird sich bald als Pyrrhussieg erweisen.

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