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Meinung: Fieses findet Freunde

Im US-Wahlkampf erzeugt die Sehnsucht nach Eintracht Zwietracht

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Eine Frage: Einmal angenommen, Sie sind amerikanischer Präsident und wollen wiedergewählt werden. Doch Ihre Bilanz ist, um es zurückhaltend auszudrücken, angreifbar. Die Staatsschulden haben sich auf mehr als 16 Billionen Dollar summiert, bei Ihrem Amtsantritt waren es 10,6. Das Wirtschaftswachstum ist bescheiden, die Arbeitslosigkeit hoch, die Armut gestiegen. Was machen Sie?

Nächste Frage. Einmal angenommen, Sie sind der Herausforderer und wollen an die Macht kommen. Doch mit Ihrer Beliebtheit ist es, vorsichtig ausgedrückt, nicht weit her. Sie haben Ihr Geld als Hedgefonds-Manager verdient, wirken unnahbar und steif, gehören einer Religionsgemeinschaft an, die vielen suspekt ist. Was machen Sie?

Die Antwort auf beide Fragen ist dieselbe – den Gegner angreifen, so hart es geht. Wer mit dem eigenen Pfund nicht wuchern kann, muss zuschlagen. Und so war das herausragende Merkmal des amerikanischen Wahlkampfes 2012 die üble Nachrede. Sie wurde per Post verteilt, im Radio gesendet, lief pausenlos im Fernsehen. Finanziert wurden die Milliardenkosten dafür von Organisationen, die unbegrenzt Spenden einsammeln dürfen (den SuperPACs, das steht für „Political Action Committee“).

Ungefähr ab dem Sommer hieß die entscheidende Frage nicht, wer den Wähler mit dem besten Programm bezirzt, sondern wer den Kontrahenten in die schlechteren Negativwerte stürzt. Die Strategie ging auf. Obama ruiniert Amerika, schwächt das Land in der Welt und knickt vor den Feinden der Freiheit ein: So tönt es von rechts. Romney ist eine Marionette des Kapitals, ein kaltherziger Sozialdarwinist und führt das Land in weitere Kriege: So tönt es von links. Das Romney-Lager zeigt verzweifelte junge Mütter, stets mit Baby auf dem Arm, die wegen der Obama-Politik ihre Familie nicht mehr ernähren können. Das Obama-Lager beschuldigt Romney, in seiner Zeit als Chef einer Private-Equity-Firma den Krebstod einer Frau verursacht zu haben, die ihre Krankenversicherung nicht mehr hätte bezahlen können.

Den Wähler widert’s an. Aber er ist das Opfer mehrerer Studien, die belegen, dass Negativaussagen über den Gegner einen längeren Erinnerungswert haben als positive Selbstdarstellungen. Außerdem mobilisieren sie die eigene Basis. Bei traditionell geringer Wahlbeteiligung ist die Mobilisierung ein wichtigerer Erfolgsfaktor als die Überzeugung von Unentschiedenen. Fieses findet rasch Resonanz.

Doch alles rächt sich. Als Obama vor vier Jahren Präsident wurde, trat er das Amt mit dem Versprechen an, durch einen neuen, überparteilichen Ton die alten ideologischen Gräben überwinden zu wollen. Den Konsens suchen, Brücken bauen, konstruktiv streiten, versöhnen: Damit traf er den Nerv auch vieler Wechselwähler. Heute bilanziert der „Times“-Kolumnist David Brooks, durch seine stark ausgeprägte Negativkampagne hätte ein wiedergewählter Präsident Obama „kein Mandat“ mehr für große politische Projekte.

Ein Präsident Romney würde natürlich nicht minder polarisieren. Also dürfte sich die Tendenz zur Blockbildung im Kongress, die Amerikas Politik ohnehin schon lähmt, nach der Wahl weiter verstärken. Gleich, wer gewinnt. Das Volk sehnt sich nach Eintracht, lässt sich aber am ehesten durch das Schüren von Zwist mobilisieren, was am Ende die Zwietracht unter den Repräsentanten nährt. Wahrlich, ein Teufelskreis.

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