zum Hauptinhalt
Sommer in Berlin. Ein Zwangs-Deutschtest würde die Bildungselite privilegieren.

© dpa

Ehegattennachzug: Frau Dogan und die Deutschen

Ehegattennachzug findet seit 2007 für Nicht-EU-Bürger nur noch statt, wenn der oder die Angetraute Deutschkenntnisse nachweist. Doch die rigide Vorschrift verletzt einen Grundmaßstab des Verfassungsstaats, das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Es gehört Selbstbewusstsein, vielleicht eine Spur Hybris dazu, aus der eigenen, in der Gesamtschau vergleichsweise zurückgenommenen Rolle bei einer gelungenen friedlichen Revolution vor einem Vierteljahrhundert eine Lehrbefugnis für die Freiheitszustände der Weltdemokratien abzuleiten. Anders gesagt: Politisch Wahres zu predigen, bedeutet nicht immer, Kluges zu sagen. Frau Dogan jedenfalls hätte wohl etwas anzumerken zu der in Ankara vorgenommenen Positionierung Deutschlands als moralischer Exportnation. Zumal sie aus der Türkei stammt. Nur leider: Frau Dogan kann kein Deutsch. Sie kann auch nicht lesen oder schreiben. Sie ist Analphabetin.

Dafür kann sie Demokratie. Und sie kann Grundrechte. Deshalb hat sie sich nicht abgefunden mit der Entscheidung deutscher Behörden, sie nicht zu ihrem Mann zu lassen, bei dem sie mit den vier gemeinsamen Kindern leben will. Ehegattennachzug heißt dies in der Sprache des Ausländerrechts. Seit 2007 findet er für Nicht-EU-Bürger nur noch statt, wenn der oder die Angetraute Deutschkenntnisse nachweist.

Frau Dogan klagte vor dem Berliner Verwaltungsgericht, das ihr Problem dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorlegte. Von dort hat sich jetzt der Generalanwalt gemeldet mit einer guten Nachricht für die Türken: Er sieht einen Verstoß gegen das Assoziierungsabkommen mit dem Land. Es ist noch mehr als das. Die rigide Vorschrift verletzt einen Grundmaßstab des Verfassungsstaats, das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Mit dem Deutschtest will die Regierung angeblich Zwangsehen verhindern. Ein schönes Ziel, fraglich ist das Mittel. Denn das Instrument läuft darauf hinaus, städtische Eliten im Ausland mit Zugang zu Schulung und Förderung das Familienglück erleben zu lassen, während eine Frau Dogan theoretisch darauf warten kann, bis sie Witwe ist. Um Zwangsehen zu erschweren, sollte man sich etwas anderes einfallen lassen, etwa, die Nachzügler hierzulande zu Integrationskursen zu verpflichten. Wenn der deutsche Staat die türkische Frau retten möchte, mag er dies auf seinem Boden tun – nicht durch Diskriminierung einer Frau Dogan, die in ihrem Prozess vermutlich anderes durchsetzen möchte als ihr Recht, zwangsweise verheiratet zu werden.

Es gibt auch eine kleine Scham. Männer, die stets große Reden halten, finden selten gute Worte dafür. Es sind nicht nur die Morde von Neonazis, es sind auch solche Friktionen, an die man im Verhältnis zu den Türken denken darf. Viele Menschen hoffen darauf, dass Deutschland gnädiger wird beim Ehegattennachzug, womöglich nun gefördert vom Europäischen Gerichtshof, wenn dieser in seinem Urteil dem Generalanwalt folgt. In der Türkei spüren sie unsere Überlegenheit. Es ist eine Frage des Stils, sie diese nicht noch stärker spüren zu lassen.

Zur Startseite