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Meinung: Frau gegen Kameraden

Dass Angela Merkel drauf und dran ist, das Rennen um die Kanzlerkandidatur, möglicherweise sogar das Gesicht zu verlieren, liegt an der Natur der Freundschaft oder, kleiner formuliert, der Kameradschaft. Zu behaupten, Menschen über dreißig könnten keine echten Freundschaften mehr schließen, wäre eine misanthropische Übertreibung.

Dass Angela Merkel drauf und dran ist, das Rennen um die Kanzlerkandidatur, möglicherweise sogar das Gesicht zu verlieren, liegt an der Natur der Freundschaft oder, kleiner formuliert, der Kameradschaft. Zu behaupten, Menschen über dreißig könnten keine echten Freundschaften mehr schließen, wäre eine misanthropische Übertreibung. Dennoch wird, je länger man lebt, der Begriff "neuer Freund" zu einem Widerspruch in sich. Ob jemand wirklich ein Freund ist oder nicht, merkt man eben erst auf die Dauer. Dann aber ist man es, einfach, weil man es schon so lange ist und weil man über Jahrzehnte geprüfte Freundschaften nicht allzu oft neu beginnen kann. Für Kameradschaften gilt das alles doppelt, denn die müssen nur alt genug sein, dann braucht man die Kameraden noch nicht einmal sympathisch zu finden - und es funktioniert doch.

Angela Merkel hat im Gegensatz zu Edmund Stoiber, Roland Koch oder Gerhard Schröder und Joschka Fischer in der Politik weder alte Freunde noch alte Kameraden. Das lag zunächst nicht an ihr, sondern an der SED und der Stasi. Wen sie schon vor dem Fall der Mauer kannte, der hat heute keine Macht, wer heute Macht hat, der kann nur ein neuer Freund sein, also ein Widerspruch in sich. Merkel hat dann mangels Kameraden andere Formen der Macht kultiviert und hypertrophiert: direkte Basisansprache, allergrößtes, umfassendes Misstrauen und als Kompensation für informelle Netze die formalen Beschlüsse. Bei einem solchen System braucht man nicht viele Freunde, man macht sich aber auch nicht viele.

Zu den wenigen politischen Freunden zählten Christian Wulff, Landesvorsitzender von Niedersachsen, der sich frühzeitig anders orientiert hat; Peter Müller, saarländischer Ministerpräsident, der vor kurzem anderweitig konspirierte; Wolfgang Bosbach, Fraktionsvize der Union, hat ihr einen letzten Stoß versetzt, als er öffentlich "vermutete", die große Mehrheit der Fraktion sei für Stoiber. Hinzu kommen in jüngster Zeit Kampfformen, die in vorzugsweise männlichen Kameradschaften betrieben werden: Konspirationen, Durchstechereien und wahre Sammelsurien übler Adjektive über die Frau an der Spitze. Das ist allemal unschön. Noch unschöner aber ist für Merkel, dass es keine Konspirationen, Durchstechereien oder Sammelsurien übler Adjektive zu ihren Gunsten gibt.

Moralisch steht es in diesem Kampf der Vertrauten gegen die Misstrauische unentschieden, null zu null. Politisch droht die Angelegenheit nun vollends zu eskalieren: Je mehr Merkel sich an formale Beschlüsse klammert, desto massiver und brutaler agieren die informellen Kameradschaften. Und umgekehrt. Mittlerweile ist dieser Prozess so weit fortgeschritten, dass man sich beim Kampf Stoiber gegen Merkel weniger darum sorgen muss, wer übrig bleibt, als darum, was von ihr übrig bleibt.

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