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Meinung: Gestern Köln, morgen Düsseldorf

Recep Tayyip Erdogan kommt nach Deutschland – Erinnerungen werden wach

Drei Jahre nach seiner berühmt-berüchtigten Kölner Rede über die „Assimilierung“ von Türken in Deutschland als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ will Recep Tayyip Erdogan wieder eine Ansprache vor Türken in der Bundesrepublik halten. Diesmal werden am Sonntagabend rund 12 000 Zuhörer in Düsseldorf erwartet. Wird der Ministerpräsident, der bei Wahlen im Juni eine neue Amtszeit anstrebt, wieder vom Leder ziehen wie damals in Köln? Gut möglich. Grund zur Zurückhaltung sieht Erdogan jedenfalls nicht.

Auch seine Düsseldorfer Rede wird ein Stück türkischer Innenpolitik auf deutschem Boden sein. Möglicherweise wird er den rund 2,5 Millionen türkischen Auslandswählern die gute Nachricht überbringen, dass sie im Juni erstmals ihre Stimme per E-Mail abgeben können. Profitieren würde davon vor allem Erdogans eigene AKP. Außerdem dürfte er die Forderung nach einer Aufhebung der Visumspflicht für Türken bei Reisen in die EU bekräftigen. Ein neuer Appell an die Diaspora, die türkischen Wurzeln nicht zu vergessen, ist ebenfalls zu erwarten.

Die Aussicht, mit seinem Düsseldorfer Auftritt neue Kritik der Deutschen zu ernten, bereitet Erdogan keine schlaflosen Nächte. Die Bundesrepublik und andere EU-Staaten haben wenig Einfluss auf das Verhalten der Türkei. Denn die Türken fühlen sich von den Europäern verschaukelt – genießen aber gleichzeitig neue Popularität und Macht in Nahost.

„Ermüdend“ sei das Spiel, das die Europäer bei den stockenden EU-Beitrittsverhandlungen trieben, sagt Erdogan. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der an diesem Freitag zu einem Kurzbesuch nach Ankara kommt, und Angela Merkel, mit der Erdogan am Montag die Cebit in Hannover eröffnen wird, sind aus türkischer Sicht die Hauptbremser in der EU.

Während die Europäer zaudern und mosern, stehen die Türken im Nahen Osten so gut da wie nie. Die Republik gilt als Vorbild für Länder wie Tunesien und Ägypten nach dem Kollaps der Diktaturen. Als westliche Demokratie mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit sei sein Land eine „Inspiration“ für die ganze Weltgegend, sagt Erdogan.

Das türkische Selbstbild ist freilich rosiger als die Realität. Im Januar konnten die Türken den Nachbarn Iran nicht davon abhalten, die Atomgespräche mit dem Westen an die Wand zu fahren. Nach wie vor können 3,8 Millionen Türkinnen weder lesen noch schreiben. Der Kurdenkonflikt schwelt weiter, bei Presse- und Meinungsfreiheit gibt es Probleme.

Diese Schwächen verdecken aber nicht, dass die Türkei von einer Verschiebung der Gewichte im östlichen Mittelmeer profitiert. Sie ist heute nicht nur die stärkste Wirtschaftsmacht der Region. Sondern sie ist auch ein wichtiger Akteur im Irak, engagiert sich im Libanon, vermittelt zwischen Pakistan und Afghanistan – und bildet angesichts der Schwäche von Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien einen pro-westlichen Gegenentwurf zur anderen aufstrebenden Macht in der Region – dem Iran.

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