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Bundeskanzler Olaf Scholz (M unten, SPD), Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (vorne 2.v.l. l, CSU), Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (M oben, CSU), Bundesinnenministerin Nancy Faeser (vorne l , SPD) stehen hinter einer Absperrung aus gefüllten Sandsäcken bei einer Ortsbesichtigung im vom Hochwasser betroffenen oberbayerischen Reichertshofen.

© dpa/Sven Hoppe

Nicht nur von Flut zu Flut denken!: Gummistiefel-Wahlkampf gehört zum guten Ton – reicht aber lange nicht aus

Klimafolgen gehen alle an. Sie rühren an Fragen von Gerechtigkeit und Egoismus. Die zu beantworten, ist für Politiker unattraktiver, als im Matsch die Kümmerer zu geben. Doch die Zeit drängt.

Sidney Gennies
Ein Kommentar von Sidney Gennies

Stand:

Manche Dinge ändern sich nicht. Mit Flutkatastrophen kann man Wahlen gewinnen. So wie Deichgraf Matthias Platzeck bei der Oderflut 1997 und Gerhard Schröder 2002. Oder eben verlieren, wie der lachende Laschet 2021.

Für die Menschen, die ihr Hab und Gut – schlimmer noch: Freunde und Angehörige – verlieren, sind die Überschwemmungen schwere Schicksalsschläge. Politisch und gesellschaftlich sind diese persönlichen Katastrophen jedoch alles andere als überraschend. Die Frage ist ja in immer mehr Gebieten längst nicht mehr, ob die Flut kommt, sondern wann.

Das sieht man schon daran, dass der Gummistiefel-Wahlkampf zum guten Ton gehört. Wer als Politiker heute im Katastrophengebiet durch den Matsch stapft, wie Markus Söder und Olaf Scholz nun in den überfluteten Gebieten in Bayern und Baden-Württemberg, hat vielleicht nicht mehr so viel zu gewinnen wie früher. Wer es aber unterlässt, vergibt Wählerstimmen. So sehr sind wir daran gewöhnt – die Reaktion auf den Ausnahmezustand als Routine.

In einem Teilort von Rudersberg liegt nur noch Schutt und Asche. Seit Tagen kämpfen die Helfer in Bayern und Baden-Württemberg gegen die Flut und ihre Folgen.

© IMAGO/onw-images/IMAGO/Alexander Wolf

Daraus müsste etwas folgen, eigentlich. Doch was sich eben auch nicht ändert, ist, dass wir nur von Katastrophe zu Katastrophe, von Flut zu Flut denken. Die Kommunen und Infrastruktur im Ahrtal sind nach dem verheerenden Hochwasser von 2021 weitestgehend wieder aufgebaut – an eben jener Stelle. 15 Milliarden Euro stellte allein Rheinland-Pfalz dafür zur Verfügung.

Es wirkt zynisch, kalt, so darüber zu sprechen. Das macht es, anders als öffentlichkeitswirksam den Kümmerer zu geben, für Politikerinnen und Politiker auch so unattraktiv, das wichtigere, dahinterliegende Problem, zum Wahlkampfthema zu machen.

Sichere Gebiete können die Risikogebiete von morgen sein

Extremwetterlagen werden zunehmen, der Klimawandel sorgt dafür. Und der lässt sich vorerst nicht aufhalten, höchstens verlangsamen. Prävention tut Not, einerseits. Andererseits können wir perspektivisch die Deiche gar nicht so hoch bauen, 100-prozentigen Schutz gibt es ohnehin nicht.

Bleibt also die ungeklärte Frage, wie wir gesellschaftlich mit den absehbaren Klimafolgen umgehen. Und das rührt an Fragen der Gerechtigkeit, der Grenzen der Solidarität, des Neids und des Egoismus. Gewinnerthemen sind das nicht.

Blick auf eine überflutete Gewerbefläche an der Donau im Landkreis Kelheim. Viele kleine Gemeinden sind betroffen.

© dpa/SEBASTIAN PIEKNIK

Aufgabe verantwortungsvoller Politik muss aber sein, diesen Diskurs zu gestalten. Die unbequemen Fragen aufzuwerfen – auch dann, wenn gerade nicht Land unter ist. Ist es gerecht, dass über ihre Steuern auch jene den Wiederaufbau mitbezahlen, die eben nicht im Hochrisikogebiet gebaut haben? Ist es überhaupt sinnvoll, immer wieder dort zu bauen, wo erwiesenermaßen Gefahr droht? Einerseits.

Andererseits muss Politik auch erklären, dass die sicheren Gebiete von heute die Hochrisikogebiete von morgen sein können. Dass schon jetzt 80 Prozent aller Gebäude durch Starkregen und Extremwetterlagen gefährdet sind, die wenigsten davon in Risikogebieten. Dass es jeden treffen kann. Dass es ohne Solidarität nicht gehen wird.

Die nächste Notlage kommt sicher

Doch auch diese Solidarität muss gestaltet werden. Wie üblich bei Flutkatastrophen kommt derzeit wieder die Debatte über eine nationale Pflichtversicherung gegen Elementarschäden auf. Derzeit verfügen freiwillig nur etwa 50 Prozent der Eigenheimbesitzer über eine solche Versicherung. Die Policen sind teuer, die Versicherer wissen, warum. Einige verzichten wohl auch, weil sie sicher sein können, dass der Staat, der Steuerzahler im Zweifel einspringt.

In Frankreich gibt es diese Pflichtversicherung längst, spätestens seit der Ahrtal-Krise sind auch die deutschen Bundesländer dafür. Schon als Olaf Scholz noch Finanzminister war, machte auch er sich auf Bundesebene dafür stark. Doch einen Gesetzentwurf der mittlerweile von ihm angeführten Regierung gibt es bis heute nicht. Die FDP ist dagegen, zu bürokratisch, zu teuer, sozial nicht zumutbar.

Diesen politischen Konflikt auszufechten, muss nun Priorität haben. Wie die Bundesrepublik sich als Gesellschaft an Klimafolgen anpasst, muss auch als Gesellschaft diskutiert werden. Nicht getrieben von aktuellen Notlagen, aber mit ungetrübtem Blick auf künftige Notlagen. Denn die werden kommen. Und Gummistiefel werden nicht reichen.

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