Meinung: Jenseits des Rechenschiebers
Die Unternehmensteuerreform verschärft die Sinnkrise der SPD
Stand:
Steuersätze runter, Steuereinnahmen rauf: Im Vertrauen auf diese Logik bringt das Kabinett heute die Unternehmensteuerreform auf den Weg. Aus Sicht der SPD muss man wohl sagen: auf den Leidensweg. Viele Genossen verstehen nicht, was sozialdemokratisch daran sein soll, die Steuerlast für Unternehmen zu senken, von denen etliche im vergangenen Jahr Rekordgewinne gemacht haben.
Eine für die Partei und ihre Anhänger befriedigende Antwort auf diese Frage, jedenfalls eine jenseits des Rechenschiebers, ist die SPD-Spitze bisher schuldig geblieben. Die Reform führt in den ersten Jahren unweigerlich zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe, erst danach soll daraus ein schönes Plus werden. Dann nämlich, wenn deutsche Firmen ihre Gewinne nicht mehr im Ausland, sondern hierzulande versteuern.
So jedenfalls verspricht es Finanzminister Peer Steinbrück, und wer seiner Rechnung nicht folgen kann, zieht sich seinen Zorn zu. Dummerweise sind das in der SPD ziemlich viele. Steinbrück aber hält es eher mit dem Schröder’schen Basta als mit Überzeugungsarbeit. Bislang weiß er dabei SPD-Chef Kurt Beck an seiner Seite, der kürzlich selbst ein Machtwort sprechen musste, um das SPD-Präsidium auf Linie zu bringen. Noch mehr Druck – oder aber große Zugeständnisse im Laufe des parlamentarischen Verfahrens – werden von Nöten sein, um die SPD-Fraktion am Ende zu einer einigermaßen geschlossenen Zustimmung zu bewegen.
Anders als Steinbrück rechnen die Kritiker nämlich nicht nur in Euro, sondern auch in Prozent. Ihre Formel lautet: Sinkende Steuersätze für Unternehmen bei gleichzeitiger Erhöhung der Mehrwertsteuer, Kürzung der Pendlerpauschale und Aussetzung der Kindergelderhöhung ergibt weniger Wähler für die SPD. Womit wir beim tieferen Grund der Auseinandersetzung wären: Der Streit wird auch deshalb so erbittert geführt, weil es vielen Sozialdemokraten schleierhaft ist, wie die Partei aus der großen Koalition heraus überhaupt noch Wahlen gewinnen will.
Die bisherige Leistungsbilanz der SPD in der Regierung gibt zu Optimismus wenig Anlass. Gesundheitsreform oder Rente mit 67 werden an der Basis als Zumutung empfunden, die Einführung eines Mindestlohnes in dieser Wahlperiode – eines der wenigen Reformvorhaben, mit denen sich die SPD wirklich identifizieren kann – ist fraglich. Zugleich versucht die Union, mit einer erneuerten Familien- und zumindest rhetorisch grün gefärbten Klimaschutzpolitik in die großstädtischen Wählermilieus vorzustoßen. Und die Linkspartei bietet sich mit freundlicher Unterstützung einzelner Gewerkschaften als Sammelbecken für frustrierte Traditionsgenossen an.
Es klingt da schon sehr nach Durchhalteparole, wenn Vizekanzler Franz Müntefering von einer unverändert breiten Schneise für sozialdemokratische Politik spricht. In Umfragen misst diese Schneise noch 25 bis 30 Prozent. Damit können selbst jene in der SPD nicht zufrieden sein, die sich bereits mit der Fortsetzung der großen Koalition nach 2009 abgefunden haben.
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