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Kreditaffäre: Jetzt bleibt nur Mitleid mit Wulff

Ist Christian Wulff jetzt nicht wirklich ein Häufchen Elend, wie er da im Fernsehverhör sitzt, unser missratener kleiner Ersatzkönig? Er hat im Spiel um sein Amt als ersten Chip die Wahrheit gesetzt, danach seinen Ruf. Was ihm jetzt noch bleibt, ist Mitleid.

Früher durfte man in deutschen Zeitungsartikeln fast nie das Wort „ich“ verwenden, weil man, der damaligen britischen Lehre folgend, in jeder Lebenslage die Fahne der Objektivität hochhielt. Statt „ich“ schrieb man „man“, dies führte manchmal zu drolligen Textverrenkungen. Daran musste man während des Wulff-Interviews plötzlich wieder denken. Christian Wulff verwendet auch fast immer „man“ statt „ich“. Man dachte: „Im Journalismus gibt es hin und wieder schon so etwas wie Fortschritt, ich ist einfach ehrlicher als man.“

Wie hat er wohl seine Bettina zur ersten Verabredung eingeladen? Etwa mit dem Satz „Man würde gerne einmal mit Ihnen essen gehen“? Und abends, bei einem späten Termin, sagt er da etwa „Man ist müde. Man hat morgen schon um sieben Uhr den ersten Termin.“?

Solche Sätze klingen höfisch verschwurbelt, und der Bundespräsident ist auch tatsächlich eine letzte, republikanische Schwundform des Königtums. Die Könige repräsentierten den Staat, mit Leib und Seele, nur deshalb gab es ja das ganze höfische Brimborium. Leute wie Wulff aber repräsentieren, wie es scheint, nur noch ihre eigene Karriereplanung. Niemand hat das in den letzten Tagen besser ausgedrückt als die Professorin Gertrud Höhler. Sie sagte sinngemäß, dass die Wulffs und die Guttenbergs dieser Erde ihre politischen Positionen als eine „Beute“ ansehen, die sie erobert haben und die sie freiwillig nicht wieder hergeben. Mit so etwas wie „Würde des Amtes“ kann man solchen Leuten nicht kommen. Das Amt ist ihnen nur insofern nicht egal, als sie selber etwas haben von diesem Amt.

Manchmal muss man sich zwischen dem Amt und seinem guten Ruf entscheiden. Man kann in gewissen Situationen nicht beides behalten. Nur eines davon kann man retten. Die Bischöfin Käßmann hat, nach einem Fehler, ihr Amt schnell entschlossen geopfert und damit ihren Ruf gerettet. Die Wulffs und die Guttenbergs klammern sich ans Amt, so lange es geht, auf ihren guten Ruf können sie eher verzichten als auf ihre Beute.

Jetzt haben viele Mitleid mit Wulff, das ist nachvollziehbar. Ist er nicht wirklich ein Häufchen Elend, wie er da im Fernsehverhör sitzt, unser missratener kleiner Ersatzkönig? Wie ein Schüler, der beim Abschreiben ertappt wurde? Der zu seiner Verteidigung den irgendwie dummen, irgendwie traurigen Satz sagt, er sei unvorbereitet in dieses Amt gekommen? Es gibt doch Bücher, in denen man lesen kann, wie Präsidenten sich verhalten.

Man muss sich klarmachen, dass er sich selbst in diese Situation gebracht hat. Es gab für ihn andere Optionen, zum Beispiel die Wahrheit. Er hat im Spiel um sein Amt als ersten Chip die Wahrheit gesetzt, danach seinen Ruf. Das Letzte, was ihm jetzt noch bleibt, ist Mitleid.

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